Es wird heiß, es ist Ende Juni, es sind 30 Grad angesagt. Die Etappe beginnt zwischen Getreide- und Rapsfeldern, wir haben Überblick über das Land, und die Luft fühlt sich schon vormittags nach Sommerhitze an. Wir sind eigentlich schon in Marburg gestartet und nicht in Frauenberg, so sind wir erst halb elf dort und werden trotzdem noch mit Guten Morgen begrüßt. Das scheint wirklich anders zu sein, in Ostdeutschland wäre das definitiv “Mahlzeit” gewesen. Aber ich hatte von früher schon den Eindruck, dass es in Hessen abends ruhig etwas länger dauern darf und sich die Tageszeiten dementsprechend verschieben.
Nach dem ersten Waldstück kommt schon eine Überraschung, die alte Bahntrasse der sogenannten Marburger Kreisbahn wurde zu einem Rad- und Wanderweg ausgebaut. Auf der Karte ist das nur als einfacher Strich eingezeichnet, und das kann alles heißen, von “bequemer Wanderweg” bis ziemlich häufig “existiert nicht”. Aber hier wandert es sich derartig gut zwischen schattenspendenden Baumreihen, was unsere Laune beträchtlich heben wird. Wir gehen anschließend am Rand einiger Felder entlang und erreichen den höchsten Punkt zwischen Frauenberg und Hachborn. Ich hoffe, man kann die Hitze etwas sehen.

Die Gegend ist immer noch schön, aufgelockert, offen und freundlich. So geht es eine ganze Weile weiter. Wir beobachten eine Krähe, die einen wesentlich größeren Rotmilan durch beständiges Nerven aus ihrem Revier vertreibt. Wir passieren das in der Mittagsruhe friedliche Hachborn. Und wir gehen auf einem zu einer schwerlastfähigen Baustraße ausgebauten Waldweg – wie wir dann gesehen haben für einen Windpark im Bau. Der Verkehr auf dieser Baustraße war übrigens mit einer Ampel geregelt, an der ein Schild auf ein rekordverdächtiges “Rotphase dauert 19 Min.” hinwies.
Und die Luft flimmerte über den Feldern.
Uns so kommen wir nach Staufenberg. Diesen Ort habe ich kennengelernt – bzw seine Nachkriegsversion – in dem frei erzählten Hörbuch “Ein Sommer, der bleibt” von Peter Kurzeck. Der Autor erzählt seine Kindheitsgeschichte in Staufenberg. Und das tut er so warmherzig, gewinnend, einfach und sicherlich auch nostalgisch, dass diese Erzählung für mich ein plausibler und immer im Gedächtnis gebliebener Gegenentwurf zu meiner ziemlich anspruchsvollen und überkomplexen Gegenwart ist. Und das ist ja nicht nur meine Gegenwart. Das Gefühl, dass mit unserer Welt was nicht stimmt, teilen viele. Und nur um Missverständnisse zu vermeiden, Peter Kurzecks Kindheit war auch voll Leid und mitnichten nur unbeschwert. Aber es war eine Welt, die der Protagonist gekannt und verstanden hat – und das ist vielleicht der entscheidende Unterschied. Wie dem auch sie, hört Euch das Hörbuch einfach selbst an.
Wir haben in Staufenberg übernachtet, und das war der Blick aus meinem Fenster:

Zum Abschluss führte uns der Weg über eine erfreulich lange Strecke an der Lahn entlang; zwischen Kleingärten und Fluss durch eine überbordende Vegetation am sehr gemächlich dahinfließenden Gewässer.

Und das Ende der Wanderwoche markierte die Gießener Altstadt nebst Bahnhof, von wo wir wieder die Heimreise antreten mussten.