Diese Etappe hatte ich von vorneherein als mögliche Pausenetappe eingeplant, die offizielle Via Gottardo nimmt hier schlicht das Schiff über den Vierwaldstätter See. Das war mir als einzige Option etwas zu einfach, also hatte ich ziemlich mühselig eine Rigiüberschreitung eingebaut, so wie sie auch in der Etappenbeschreibung zu finden ist. Gebraucht habe ich sie nicht.
Denn mir war tatsächlich etwas nach Ausruhen. Da traf es sich gut, dass Christoph gekommen und für alles zu haben war. So wurde es eine kombinierte Stadt/Fahrrad/Schiff/Bahntour ohne jeden Stress: erst etwas in der Stadt umgesehen, dann ein E-Bike geliehen, am nördlichen und östlichen Seeufer über Küssnacht bis nach Gersau, etwas zurück nach Vitznau, mit dem Schiff wieder nach Luzern und letztlich per Bahn nach Altdorf. Es war wunderbares Wetter, nicht zu heiß, nicht zu kalt und total entspannt. Wenigstens für mich, Christoph hatte sich für ein Bike ohne E entschieden und hat richtig Sport gemacht. Aber er musste sich ja auch nicht ausruhen.
Und weil es nur ein Pausentag war, hier nur ein paar unkommentierte Fotos vom Tag.
Kappellbrücke in LuzernAm Anleger in KüssnachtMittagspause im Strandbad CholplatzMan schreibt eine Postkarte …
Ich muss mit zwei Offtopics anfangen. Am Frühstückstisch saß ein mexikanisch aussehender Mann, etwas dicklich, mit ärmellosem gelben Sportshirt und Basecap. Ich dachte spontan, er schwitzt und wollte mich nicht an den gleichen Tisch setzen. Und wieso? Weil diese Figuren in Filmen immer schwitzen. Alles nicht so einfach.
Derweil sucht man mit großem Bahnhof in Berlin und Brandenburg nach einer entlaufenen Löwin, die auf einem Video gelandet scheint und sicher von Polizisten gesichtet worden sein soll. Schwer zu glauben, es fehlte ja auch nirgends eine Löwin. Am Nachmittag folgt die offizielle Auflösung, es seien Wildschweine gewesen. Das riecht so derartig nach professioneller Abmoderation, man fragt sich unwillkürlich, was eigentlich wirklich los war. Mal abwarten.
Die Etappe heute ist nicht so schön, es nieselt und regnet immer wieder und alles ist recht grau. Ich gehe lange oberhalb des Sempacher Sees, und so wirklich schön ist das hier nicht. Da hilft auch nicht der Berg im Hintergrund, dessen Namen ich noch nicht rausgekriegt habe.
Sempacher See
Es ist insgesamt eigentlich keine ausgesprochen schöne Gegend hier. Es ist interessant, weil es anders ist als alles auf dem langen Weg bis hierher. Und es ist Kulturland, in dem gelebt und gearbeitet wird. Ziemlich weit weg von Idylle. Trotzdem frage ich mich zum ersten und wahrscheinlich einzigen Mal auf der Tour, ob nicht eine andere Wegeführung besser gewesen wäre. Durchs Schweizer Jura nach Genf zum Beispiel. Aber das werde ich wohl nie rauskriegen. Immerhin ist der nächste Ort wieder sehenswert …
Sempach im Regen
… und im Anschluss kommt nicht nur der rettende Coop für den Mittagssnack, sondern ich darf endlich auch mal direkt ans Seeufer. Das war bisher nämlich nicht drin.
Sempacher See bei Sempach selbst
Der Nachmittag ist dann so bisschen Frankfurt lite. Man läuft relativ lange durch Vororte leicht bergab in die Stadt. Nur ist es halt diesmal Luzern, und es gibt keine E-Scooter. Dafür ein schön gestaltetes Gasthaus.
Gasthaus in Rothenburg
Später verläuft der Wanderweg über die Startbahn des Flughafens, was ziemlich schräg ist. Der entsprechende Abschnitt ist gerade zwar gesperrt, aber die Umleitung geht zu einer Straße, die ebenfalls die Startbahn quert. Da gibts dann eine Schranke wie bei einem Eisenbahnübergang. Kein Zaun, nichts. Das stell ich mir spannend vor. Aber es startet nur eine kleine Militärmaschine, die nicht die gesamte Länge der Startbahn braucht.
Den Abschluss bildet eine Stunde am Ufer der Reuss, wie die Aare ein schöner kräftiger Fluss, bevor ich nach Basel das erste Mal wieder in einer Stadt bin.
Reuss vor Luzern
Und es ist ein kleiner Abschied, denn nach 1.400 km ist der Flach- und Mittelgebirgsteil vorbei und es geht in die Alpen.
Die Etappe beginnt unauffällig und unverändert. Immerhin verläuft der Weg nach Zofingen mehr oder minder am Waldrand. Die Höhenunterschiede sind jetzt deutlich niedriger wie noch vor Olten. Man kann es im Rückblick sehen. Ich fotografiere ja manchmal gegen die Laufrichtung, weil mir Fotos Richtung Norden mit der Sonne im Rücken deutlich besser gelingen als in Laufrichtung gegen die Sonne. Und da ist es mir aufgefallen. Im Hintergrund sieht man die Berge fast als seien da Schwarzwald oder Vogesen. Es war früh, es war frisch, ich bin gut vorangekommen.
Natürlich kann es nicht so bleiben. Das Tal ist zu queren mit einem ziemlich langen Abschnitt vor und durch eine Ortschaft namens Dagmersellen, abgerundet durch die Autobahn Basel-Gotthard (die wirkliche Via Gottardo also). Der Wanderweg führt sogar über den Kreisverkehr der Autobahnauffahrt und das hört und sieht man. Ich wollte raus, ich war im Stress. Aber es gibt auch was gutes. Erstens habe ich am Weg mit einem Bauarbeiter geplaudert, dessen Dialekt ich so schlecht verstanden habe, dass sogar der Smalltalk (Wo kommst Du her, wo gehst Du hin) nur knapp zustande kam. Schwyzerdeutsch ist wirklich krass. Wenn ich davon was verstehen will, muss ich es eigentlich lesen, da kann ich mir die Bedeutung etwas leichter erschließen. Zweitens sind wieder alle so geschäftig, als Beispiel habe ich ein Neubau festgehalten, wo offensichtlich alle Mitwirkende ihr Plakat anbringen durften.
Baustelle in Dagmersellen
Sehr, sehr oft fehlt übrigens nicht der Hinweis, man sei regional. Genau wie immer darauf hingewiesen wird, das Fleisch, Getränk, was auch immer stamme aus der Schweiz. Und drittens hörte der Stress danach auf. Der Weg biegt aus dem Tal ab auf einen Höhenrücken und bleibt da, und endlich wurde es mal wieder still. Fast habe ich das Gefühl, wieder im Schwarzwald zu sein.
Waldpfad oberhalb Nebikon
Überhaupt ist es Mitte Juli und ich ertappe mich beim Gedanken, jetzt eigentlich durchlaufen zu können. Bis Nizza und Korsika. Die Jahreszeit gibt es her, und auch die Ausrüstung ist am Mann. Denn der Abstieg Richtung Sursee verläuft über offenes Gelände und ich kann nicht nur den See sehen, sondern die Alpen tauchen vor mir auf.
Sempacher See nebst Rigi (ohne Gewähr!)
Aber noch ist es nicht soweit. Die Hitze flirrt über den Feldern, ein Mähdrescher hüllt den Weg in seine Staubfahne ein, und unterwegs komme ich wieder an einem schönen Bauernhof vorbei.
Am Schönbühl
Das Foto ist gemein, denn kein Bauernhof, wirklich kein Bauernhof in dieser Gegend sieht so aus. Was alles nicht auf dem Foto ist: ein großes Wohnhaus, mehrere Ställe und Wirtschaftsgebäude, der Silo, … Aber dies Detail ist hübsch. Und ach ja, man pflegt hier selbstgemalte Schilder vor das Haus zu stellen, mit einem Bild (Storch, Kuh, Kind, Katze, Hund, was auch immer) und Vorname und Geburtstag der Kinder. Dieser Hof hatte 5 Schilder mit immer demselben Namen und demselben Geburtstag ich glaube im März diesen Jahres. Anscheinend die Erstgeborene, anders kann ich mir die Begeisterung nicht erklären. Und wieder fällt mir auf, wie schön das ist, dass die ganzen Höfe hier als Vollbetrieb bestehen, anscheinendend die Bauern ernähren können und alles weit, weit weg von Großgrundbesitz ist. Da erscheint das ganze “Schweiz” auf den Lebensmitteln in anderem Licht. Ich freu mich drüber, auch wenn das mit der Idylle vom Foto eher nichts zu tun hat.
Und es ist auch nicht alles Landwirtschaft. Denn Sursee sagt hallo:
Teile des Surseeparks
Das geht auf der anderen Seite der Glasbrücke noch genau so weiter. Aber ich betrete den Ort ja sozusagen durch den Hintereingang, auf der falschen Seite der Bahngleise, an einem hypermodernen Schulneubau, dem Bahnhof und eben dem Surseepark vorbei. Bis zur Altstadt schaffe ich es heute nicht mehr, mein Hotel Sursee liegt davor und das Wirtshaus Wilder Mann liegt direkt nebem dem Altstadttor. Da habe ich dann morgen noch was zu schauen in Sursee.
Wieder in der Morgenfrische los. Ich war in der “Hupp Lodge” sehr gut untergebracht, hatte gut geschlafen, und das Frühstück auf der Panoramaterrasse war lecker. Weil die Unterkunft aber weit oberhalb des Ortes Läufelfingen liegt (und auch gar nicht zu diesem gehört), kamen erstmal 20 min Abstieg durch den Wald, bevor es 30 min ruhig ansteigend auf die Etappe ging.
Ortsausgang Läufelfingen
Damit verlasse ich den Kanton Basel-Landschaft und gelange nach Solothurn. Man empfängt mich mit einem Landstraßenpass, einem Golfplatz und einer schönen Aussicht auf den restlichen Tag. Und nach einer starken Stunde bergab kommt mein Highlight des Tages auch schon, die Aare. Ein dunkeltürkisfarbener, ruhig und recht schnell strömender Fluß, dessen Anblick allein mich in der Sommersonne schon erfrischt. Die Aare ist der! Fluss des Mittelandes, der längste komplett in der Schweiz liegende Fluss, und sie führt mehr Wasser als der Rhein, in den sie mündet. Eigentlich könnte aus dieser Sicht Köln an der Aare liegen, keine Ahnung wieso das nicht so ist. Vielleicht gilt bei Flüssen auch rechts vor links.
Ich habe dann auch gleich am schattigen Ufer Pause gemacht und bin bis Aarburg so lange wie möglich direkt dran geblieben. Die Aare hat mich nicht nur virtuell erfrischt, ich habe mich über die Abwechslung gefreut und die Ruhe, die sie ausstrahlt. Allerdings hatte ich auch die ganze Zeit höllischen Durst und das Bedürfnis, in der Aare zu wandern und nicht daneben. Na ja, wenigstens habe ich ihr zwei Fotos gegönnt, das Blogfoto oben mit der Bahnhofbrücke und die Alte Brücke.
Altstadt Olten mit Alte Brücke
Im nächsten Ort Aarburg verlässt der Weg die Aare schon wieder und beschreibt einen ziemlich großen Bogen um das folgende Siedlungkonglomerat, man mag es auf dem Foto ahnen.
Die Aarburg
Der Weg verläuft eigentlich unterhalb der Burg auf deren Bergrücken hoch. Das habe ich aber ausgelassen, denn es begann das Drama meiner Mittagspause. Ich hatte nichts mehr zu trinken und musste ergo einen Supermarkt finden. Der lag halt nicht neben der Burg. Aber egal. Der Plan war einfach. Nicht direkt vor dem Supermarkt pausieren, sondern hoch auf den Berg und ein schattiges Plätzchen mit Aussicht finden. Als ich kurz darauf oben war, stellte sich heraus, dass oben nicht oben ist. Ich wollte auf keinen Fall nach der Pause weiter ansteigen müssen, also gings weiter. Wirklich oben angekommen, war ich aber im Wald und ohne Aussicht. Also auf die Karte geschaut, 10 min weiter kam offenes Land. Tja, das war aber ein Feld und im Moment setzte der Mähdrescher laut lärmend zur Arbeit an. Ich kann mich ja schlecht als Gast im Land über die Landwirtschaft beschweren, also gings weiter, wieder durch Wald. Und nach einiger Zeit folgte wieder eine Aussicht, diesmal auf die nicht so repräsentative Rückseite des nächsten Bauernhofs. Also weiter talabwärts zum nächsten Wäldchen, neben einem Maisfeld. Ich hatte aus lauter Sturheit bis dahin weder meine eingekauften Getränke angerührt, noch die Snacks, und war entsprechend ausgetrocknet und genervt. Das ganze hatte schon über eine Stunde gedauert, es hat dann gereicht. Also habe ich mich auf einen Holzstapel am Rand dieses Wäldchens gepflanzt. Ich hatte Schatten, ich hatte Ruhe, und das war die Aussicht:
Lauterbacher Mais
Auch gut. Und wo ich schon dabei bin, mich nicht zu beschweren: in dieser Gegend ist eigentlich ganz schön was los. Irgendwo hatte ich gelesen, die Via Gottardo verlaufe auf stillen Pfaden. Davon kann in den ersten drei Tagen keine Rede sein. Das Mittelland ist Schweizer Siedlungsschwerpunkt und so ist der Weg dann halt auch. Ich laufe von Ort zu Ort, neben der Eisenbahn, kreuze Landstraßen und Autobahnen und sehe sehr viel, was man vielleicht geschäftiges Treiben nennen könnte. Es gibt Straßenbaustellen, Gebäudebaustellen, Bahnbaustellen, Gewerbe in jedem Ort, die Post ist unterwegs, Leute mit kleinen Kindern, man gönnt sich auch gerne ein Frühstück vor dem Cafe oder ein Mittagessen auf der Restaurantterrasse, die Bahn ist dauernd zu hören, der besagte Mähdrescher, Traktoren, auf jedem Bauernhof wird tagsüber gearbeitet, die Häuser sind fast alle entweder neu oder renoviert, das ist schon außergewöhnlich und wirkt sehr wohlhaben und trotzdem stressfrei. Der Schein wird trügen. Aber eigentlich ist das bisher eine Kulturwanderung, in dieser Dichte habe ich das auf dem gesamten Weg seit Berlin nur südlich von Frankfurt gesehen. Wobei das hier im Vergleich natürlich viel kleiner ist.
Und deshalb beschwere ich mich auch über die fehlende Ruhe der letzten Stunden nicht. Als Anerkennung hat man mir in Zofingen eine Straßenwalze zur Verfügung gestellt, die über 50 m exakt im selben Tempo neben meinem Ohr gefahren ist.
Strahlender Sonnenschein, ich bin schon relativ früh los, alles wirkt noch etwas verschlafen, aber der eine oder andere arbeitet schon oder ist auf dem Weg dahin. Einer hatte schon Zeit, sein Auto zu verschrotten, es stand ziemlich demoliert auf einer Kreuzung. Es sah aus, als hätte jemand mit einem kühlschrankgroßen Hammer von der Seite auf den Kotflügel geschlagen. Anders konnte ich mir das Schadensbild nicht erklären. War zum Glück die Beifahrerseite und der Abschleppwagen war auch schon da. Und dann war da noch die ältere Frau, die allen Ernstes in die auf dem Gehweg deponierte Mülltüte ihres Nachbarn geschaut hat. Man weiß ja nie.
Die Rathausstraße in Liestal
Auf dieser Etappe reihte sich Ort an Ort im Tal und der Weg verlief meistens in der Nähe der Bahnstrecke, oft direkt am Bahndamm und einmal sogar an einer Lärmschutzwand entlang. War nicht immer idylisch. Nur einmal ging es 20 min über einen grünen ruhigen Hügel rüber. Aber auf der anderen Seite war dann gleich wieder Bahnstrecke angesagt, diesmal angereichert mit Autobahn und Gewerbegebiet. Durch irgendeine seltsame Vorsehung war ich genau zu dem Zeitpunkt dort, an dem eine berufliche Besprechung fällig war. Also nahm ich Platz auf einer Bank am Waldrand im Schatten, besprach mich und blickte auf dies:
Im Ergolztal
Anschließend ging es vom Ergolztal ins Homburgertal, wo die Orte merklich kleiner wurden und das Gesamtbild grüner. Es war jetzt Mittag durch und als ich mich irgendwann mal umgedreht habe, war der Himmel plötzlich verdächtig grau. Kleiner Blick auf die Wetterapp versprach ein halbstündiges Gewitter in 20 Minuten. Und ein Blick auf die Landkarte versprach den Bahnhof Diepflingen, ebenfalls in 20 Minuten. Das sollte doch zu schaffen sein, und das war es auch. Allerdings hatte ich mir den Bahnhof größer vorgestellt, mit Cafe, Lademöglichkeit fürs Handy, kleinem Lebensmittelgeschäft oder so.
Es wurde ein ungefähr 10 qm großes Wartehäuschen. Aber immerhin. Und ich konnte mich gut unterhalten, weil ein Deutscher drin saß, der ein Vorstellungstermin für einen neuen Job bei einem örtlichen Unternehmen hatte. Er war auf Nummer sicher gegangen und hatte zwei Züge vor Termin genommen und weil die in der Schweiz so fahren wie sie fahren sollen, saß er halt die Zeit im Wartehäuschen ab. Wir haben über Jobsuche geplaudert, über Headhunter, er hatte über einen das Jobangebot bekommen, den ich auch schon bemüht habe. Und überhaupt über die Lage. Nach 30 min war das Gewitter wie versprochen vorbei. Ich hab ihm viel Glück gewünscht und bin weiter.
Immer an der Bahn lang – auch in Diepflingen
Und weiter geht es im Tal. Das war jetzt ziemlich schmal, und der Weg konnte kaum noch woanders verlaufen wie direkt neben der Bahn. War aber nicht mehr so auffällig, weil es nur noch eine eingleisige Nebenstrecke war. Das Grün drumrum stand dicht, war feucht, dampfte etwas schwül noch vom Gewitter und ich musste ziemlich schwitzen, obwohl Hitze und Sonne weg waren. Aber auch so fühlt sich Sommer an und es war gut.
Homburgertal mit Sommerauer Häusern
Der letzte Teil des Tages bot noch eine Überraschung. Die offizielle Via Gottardo beschreibt hier einen ziemlich großen, mir nicht so recht einleuchtenden Bogen. Ich hatte deshalb eine Abkürzung geplant, die an genau dieser Stelle in Rümlingen los ging:
Rümlingen soweit sichtbar
Die Via Gottardo biegt hier nach Osten ab. Ich aber bin unter der Brücke durch, einmal um die Kirche rum und hatte dann große Mühe, den in meiner Karte eingezeichneten Weg zu finden. Ich musste wirklich immer wieder in vermeintliche Sackgassen, um kurz vor deren Ende zu sehen, dass es doch weiterging. Am Anfang war der Weg einfach ein knapp ein Meter breiter Wiesenstreifen zwischen zwei Gartenzäunen. Nichts ausgeschildert, nichts eingerichtet. Aber der Weg war da. Dann folgten plötzlich sehr steile Stufen neben dem Brückenpfeiler hoch und später war es ein schmaler verwunschener Pfad im Wald, der den Berg hochführte. Ich war die ganze Zeit darauf gefasst, dass er sich plötzlich im Unterholz verliert und ich umdrehen muss. Tat er aber nicht. Und auch als ich oben ankam und mitten durch einen Bauernhof gehen musste, war niemand da, der gemeckert hat. Auch der Hund raste nicht mit gefletschten Zähnen auf mich zu. Im Gegenteil, weder Hund noch Mensch ließen sich blicken und so hatte ich eine ziemlich coole und etwas abenteuerliche Abkürzung gefunden.
Da war’s nur noch eine starke Stunde. Es ging immer wieder auch auf schmale Pfade, die inzwischen ziemlich deutlich von Kalkstein durchsetzt waren. Die Gegend hier nennt sich nicht umsonst Baselbieter Jura, auch einige Felsformationen waren jetzt zu sehen. Und auf einer thronte wieder mal eine Ruine, diesmal die sogenannte Homburg. Die hab ich mir aber geklemmt, Ruine hatte ich gestern schon.
Der Nachtzug hat mich halbwegs unversehrt nach Basel gebracht, und ich stehe kurz nach sieben am Badischen Bahnhof in der Morgenfrische bereit zur nächsten Etappe. Aber erst sind die lokalen Basics zu klären: Schweizer Franken besorgen, Mobile Daten buchen, Wasser zum Trinken kaufen. Dann gehe ich über den Rhein …
Die Basler Rheinseite von der Mittleren Brücke aus
… in die Altsstadt nebst Fußgängerzone, bis ich nach einiger Zeit – wieder am Rheinufer – meinen Leitwanderweg No 7 Via Gottardo treffe. Es ist schön so früh mitten in der Stadt, ich hatte das schon öfter erlebt, sehr intensiv mal in Brüssel. Die Geschäfte haben noch geschlossen, außer vielleicht einer Espressobar, der Müll vom Vortag wird gerade weggeräumt, die Leute sind auf dem Weg zur Arbeit, Gruppen von Bauarbeitern stehen zusammen und besprechen den Tag. Ein komplett nasser alter Herr nur mit Badeshorts bekleidet schließt gerade seine Haustür auf, offensichtlich kommt er vom morgendlichen Rheinbaden. Manch einer joggt, der Tag hat noch gar nicht richtig angefangen.
Für mich aber schon. Nach einiger Zeit am Rheinufer folgen die Ortschaften Birsfeld und nach einem Waldabschnitt Muttenz. Alles wirkt gut sortiert und organisiert. Der Wanderweg ist klasse ausgeschildert, die Wegbeschaffenheit ist gut, in den Ortschaften gibt es ein Zentrum, Geschäfte, Handwerker, Firmen, Gasthäuser und überhaupt wirkt alles sehr ausgewogen und ausgereift.
In Muttenz
Reichtum hilft hat. Was ich jetzt verschweige: die Banken. Das große Hafenareal in Birsfelden, das ich umgehe. Der Rangierbahnhof in Muttenz. Die großen hässlichen Roche-Hochhäuser in Basel. Geld wächst halt nicht im Wald.
Aber egal, in Muttenz geht es dann bergauf zu einer kleinen Ansammlung von Burgruinen, wobei ein Turm gut restauriert und per Treppe leicht zu besteigen ist. Von diesem Wartenberg aus hat man einen tollen Blick zurück über Basel und die ganze Gegend, das Titelbild oben ist von dort aufgenommen. Ich mache meine Mittagpause hier.
Und plötzlich ist es Sommer. Über Wald und Wiesen flirrt es, die Luft ist warm, die Sonne sticht, es schwirrt überall, ist leicht schwül und wahnsinnig schön.
Wie auch immer die heißen – Schmetterlinge und Pflanze !
Weiter geht es über Wälder und Wiesen, der Lärm des Tales wird weniger und oben nach dem zweiten Anstieg des Tages empfängt ein richtig schöner Einsiedlerhof in Schauenburg, benannt nach eben jener 200 m abseits des Weges liegenden Burgruine. Manchmal sieht man zwischen den Hügeln den nächsten Ort im Tal, es ist dann doch immer noch Großraum Basel. Aber das stört nicht weiter.
Frenkendorf und Füllinsdorf
Ich treffe Radwanderer, Spaziergänger, Jogger, aber wie immer keine anderen Fernwanderer – den Westweg ausgenommen. Mal sehen, ob sich das noch ändert. Halb drei ist mein Tag schon zu Ende, es war eine kurze Etappe und ich bin ja ziemlich früh los. Ich übernachte im Hotel Bienenberg, das ist 2 km vor dem eigentlichen Etappenziel oberhalb des Orts. Die Terrasse bietet einen entspannten Tagesabschluss mit Blick auf die gegenüberliegenden Berge und sie bietet ein sehr gutes und besonderes Bier. Und einen Blick auf die Containerreparaturfirma des Frenkendorfer Gewerbegebiets. Ganz ohne Geldverdienen geht es in dieser Gegend halt doch nicht.