Blümlisalp

Die letzte Etappe meiner zwei Wanderwochen erfordert etwas Planung, weil ab Mittag Regen und Gewitter angesagt ist. Das Berghaus Golderli ist eine ausgesprochen gemütliche und gute Unterkunft, die Wirtin zieht das Frühstück netterweise auf 6:30 Uhr vor und wir können 7 Uhr los. Es sei vorweggenommen, der Plan geht gut auf. Von Gewitter ist keine Rede mehr, und als der Regen einsetzt, haben wir den ersten Teil des Abstiegs schon hinter uns und sitzen gerade vor dem Berghaus Oberbärgli und trinken Kaffee.

Der Anstieg selbst ist knackig. Es gibt nur im ersten Drittel eine etwas flachere Passage, ansonsten geht es steil bergan. Nach einem gefühlt ewigen Aufstieg auf einer Moräne geht es in den Fels, nur um kurz darauf in die letzten Schotterflanken vor der Passhöhe überzugehen. Hier sind über hunderte von Metern Treppen gebaut, die den Aufstieg erleichtern sollen. Für mich aber sind – warum auch immer – gerade die Treppen sehr kräftezehrend. Und so muss ich Matthias um Geduld bitten und bin im Schneckenschritt hoch.

Treppen zum Hohtürl

Im Ergebnis aber haben wir die fast 1400 Höhenmeter in 3:20 h zurückgelegt, mehr als 400m pro Stunde. Und obwohl uns heute viele junge Wanderer sozusagen um die Ohren fliegen und rechts und links überholen, ist das für mich doch ziemlich schnell. Wir wollen halt vor dem Regen wieder unten sein. Also die Hütte links liegen lassen und schnell weiter.

Blümlisalphütte

Der Pfad ist ausgezeichnet in den Schotterhang gearbeitet und bietet erstmal wenig technische Schwierigkeit.

Rückblick zum Hohtürl mit Blümlisalphütte

So können wir immer wieder um uns schauen, denn das Felstheater ist atemberaubend. Die Schweizer Alpen sind einfach noch einmal größer als die Österreichischen. Wir gehen genau gegenüber einem noch ziemlich großen Gletscher, wir können in der Ferne aber auch das Tal von Kandersteg sehen.

Blümlisalpgletscher

Was ich einfach nicht fotografiert kriege: die 500m Felsabbruch unter dem Gletscher. Man stelle es sich einfach nur massiv vor. Später gehen wir eine Zeitlang auf einem Grasband oberhalb senkrechter Felsen, und später oberhalb steiler Schotterhänge. Das ist dann schon ziemlich ausgesetzt, da fühlt sich mancher mulmig. Ich selbst aber fühle mich auf einem schmalen Grat mit gutem Stand ehrlich gesagt wie ein kleiner König. Gerade weil ich mich sicher fühle und das für mich nicht selbstverständlich ist.

Der Hang sieht vom Weg aus schon steil aus

Später regnet es wie vorhergesagt, aber nicht sehr stark und so stört es nicht weiter. Wir sind jetzt am Oeschinensee, der nicht nur von beeindruckend hohen Felsen umgeben ist, sondern offensichtlich auch ein Touristenhotspot. So werden es immer mehr Menschen, die nicht so sehr nach Wandern, sondern nach Ausflug aussehen. Und es ist ja Wochenende. Irgendwann fühlen wir uns etwas als Aliens, aber das ist ok.

Oeschinensee

Und dann sind beiden Wanderwochen vorbei. Ich freue mich über den Pausentag morgen und könnte danach einfach weitergehen. Aber ich freue mich auch, nach Hause zu kommen. Ab jetzt stehen ja alpine Etappen an, und so werde ich erst nächsten Sommer in Kandersteg weiter wandern. Und auch das ist ok.

By fair means

Gestern kam Matthias als Verstärkung, und diese Verstärkung konnte ich gut gebrauchen. Stand doch wieder einmal eine anstrengende Etappe bevor mit 2000 Höhenmetern und 9 Stunden Gehzeit. Aber wir haben das zusammen gut geschafft, und zwar in Gänze. Ich selbst hatte kurz darüber nachgedacht, die erste Stunde per Seilbahn einzusparen, aber Matthias war klar: by fair means muss es sein. War auch gut so.

Nach einem ersten steilen schönen Anstieg durch Wald aus Lauterbrunnen heraus, fanden wir uns auf der ersten Geländestufe im Örtchen Mürren wieder. Ebenso idyllisch wie Wengen auf der anderen Talseite und wie Wengen und Lauterbrunnen selbst voller Sommertouristen. Und zwar aus aller Herren Länder und nicht zum Wandern hier. Sondern zum Sightseeing. Meine Vermutung ist: wie wir selbst uns beispielsweise exotische arabische Märkte anschauen, so schaut der eine oder andere die für ihn exotische Schweiz und die imposanten Alpen hier an. War ja schon am Trübsee so, nur für mich als Bergwanderer ziemlich ungewohnt. Aber schön war es und der Tag insgesamt sowieso.

Die Spielbodenalm

Wir hatten kurz vor dem letzten Anstieg zur Passhöhe in der Rotstockhütte Rast gemacht und uns mit schön zuckerhaltigen Getränken gestärkt, so dass auch dieser Anstieg problemlos verlief.

Auf dem Weg zur Sefinafugga

Lediglich die letzten 200 m auf einem Schotterfeld waren technisch ein bißchen anspruchsvoller, allerdings auch mit einer Holztreppe letztlich entschärft.

Auf der anderen Seite gings dann auch wieder mit der Holztreppe los. Weil wir jetzt aber natürlich mit dem Gesicht ins Tal gehen, war das herausfordernder und wir waren froh um das Seil an dem wir uns festhalten konnten.

Abstieg mit Unterstützung

Und am Ende der Treppe haben wir dann einen ganz klassischen Fehler gemacht: vor uns waren mehrere Wanderer auf einem sehr schwer zu gehenden, ungewöhnlich schlecht befestigtem steilen Pfad im Schotterfeld unterwegs und mussten offensichtlich mit Händen und Füssen um’s Runterkommen kämpfen. Wir haben das dann auch auf uns genommen. Mal die Hacken in den Schutt gehauen, oft seitlich mehr gerutscht als gegangen, was halt gerade möglich war. Unten angekommen dann der Schock: linkerhand kam ein richtig guter Pfad daher. Wir hatten am Ende der Treppe gar nicht auf den richtigen Weg geachtet. Und sind stattdessen blind den anderen ins Gelände hinterher, denn das war nicht der Weg. Aber wir dachten, wo Leute sind muss auch der Weg sein. Was für ein Blödsinn!

Ab da war’s einfach, immer den Berg runter, falsche Pfade gab es nicht mehr, und als die ersten Almen kamen, wurde ein gut zu gehender Fahrweg draus. In schon abendlich friedlichem Wetter kamen wir im netten Berggasthaus Golderli an und konnten etwas stolz endlich die Füße hochlegen.

Im Kiental

Top of Europe ?

Ja, das ist der Eiger. Die heutige Etappe ist vielleicht so was wie die heimliche Königsetappe, nicht wegen Länge, Höhenunterschied oder Schwierigkeit. Sondern wegen der Eigernordwand, dem Mönch der Jungfrau. Und ich habe mir was Besonderes ausgedacht, ich wollte mir jetzt doch mal die Zugfahrt durch den Eiger hindurch auf das Jungfraujoch leisten. Beworben als Top of Europe. Also bin ich schon 7 Uhr im Tal los, es gilt, auf die Kleine Scheidegg aufzusteigen. Das ist ein Umsteigebahnhof (!) auf 2000m Höhe direkt unter dem Eiger.

Der Anstieg ist anfangs etwas mühsam, weil steile Sträßchen, und im Übrigen brauche ich morgens immer eine halbe Stunde, bis es läuft. Aber irgendwann geht das ganze dann weitgehend auf einen autobreiten Schotterweg über und ist einfach und ohne besondere Aufmerksamkeit zu gehen.

Rückblick von Brandegg auf Wetterhorn und Mattenberg

Ziemlich schnell muss ich feststellen, viel weiter zu sein als geplant. Ich kann’s mir nicht richtig erklären. Nach meiner Berechnung hätte ich 5 Stunden auf die Kleine Scheidegg gebraucht. Beim ersten Wegweiser standen aber 3 Stunden da, und die haben bisher immer gestimmt. Also wäre ich statt 13 Uhr schon 11 Uhr oben gewesen. Und so war es auch, und ich habe dann zwei Stunden auf der Kleinen Scheidegg verbracht und mich gefragt, was los war. Da hätte ich auch locker ausschlafen und im Hotel frühstücken können. Was ich alles nicht gemacht habe. Egal, ich habe den Tag soweit genossen. Und es gibt ja nicht nur den Eiger zu sehen, der Blick auf die andere Seite lohnt auch.

Almen oberhalb Grindelwald

Was sich aber überhaupt nicht gelohnt hat, und mich im Nachhinein sehr geärgert, ist der Ausflug aufs Jungfraujoch. Man fährt mit der Bahn im Tunnel (nichts zu sehen) in einen Bahnhof im Berg (nichts zu sehen) und von da an ist Remmidemmi: der höchste Uhrenladen Europas, Schokoshop, Merch, eine Installation mit viel BlingBling zum Thema Alpen, man hat etwas Auslauf ins Freie und kann auf die Aussichtsplattform per Aufzug. Die Aussicht ist wirklich grandios, aber komplett verstellt von selfieproduzierenden Menschen. Diese Fahrt ist wahnsinnig teuer und trotzdem wahnsinnig überlaufen. Habe ich nicht gedacht. Ich habe dann meine Fotos gemacht und die Flucht ergriffen. Nichts für mich, aber ein Beweis möchte ich trotzdem teilen.

Aletschgletscher

Aus Ärger bin ich danach nicht wie gedacht mit der Bahn nach Lauterbrunnen, sondern gewandert. Der Tag sollte nicht so blöd aufhören. Und das hat sich gelohnt, war doch beste und friedlichste Sommernachmittagsstimmung.

Eiger und Mönch

Der Weg verläuft über die Wengeralp, immer den gegenüberliegenden Berg im Blick. Da werde ich morgen sein.

Wengeralp mit Blick auf das Schilthorn

Und witzigerweise verläuft ein Teil des Weges auf der Strecke der Lauberhorn-Skiabfahrt (oder andersrum), die ich im Winter einmal tatsächlich gefahren bin. Würden allerdings nicht Schilder darauf hingewiesen, wäre es mir nicht aufgefallen. Insgesamt haben mich der Abstieg, die Alp und auch das sehr idyllische, anscheinend autofreie, Wengen wieder entärgert. Und zuletzt kommt noch ein sehr, sehr serpentinenreicher steiler Abstieg nach Lauterbrunnen. Auch hier ist die Hölle los, aber das soll jetzt kein Thema sein. Wo kommen nur die Leute alle her?

Irgendwo da unten ist Lauterbrunnen

Ich bin nicht allein

Nein, das ist nicht der Eiger. Es ist die Nordwand des Scheideggwetterhorns. Das gehört allerdings wie der Eiger zu einem sehr beeindruckenden Gebirgsstock, den ich ab heute abwandern werde. Mit u.a. Finsteraarhorn, Mönch und Jungfrau mit einigen 4000ern. Mit dem Eiger ab Grindelwald 3000m aus dem Tal ragend. Und mit dem Aletsch immer noch mit dem größten alpine Gletscher. Und als Region Jungfrau-Aletsch als Welterbe geadelt.

Diese Etappe ist der Einstieg in eine mehrtägige Panoramawanderung. Und dementsprechend bin ich nicht der einzige hier. Trotz weiterhin durchwachsenem Wetter sind erstaunlich viele Wanderer und Radler unterwegs.

Mein Tag fängt allerdings ganz anders an. Ich verzichte auf den ersten steilen Anstieg und nehme eine uralte Kabelbahn zu den Reichenbachfällen oberhalb von Meiringen. Auch das nicht allein, wie man sieht.

Die Reichenbachfallbahn aufwärts

Vielen Dank an die Fahrerin (sagt man das so?), ich durfte bei der ersten Fahrt des Tages als Nachzügler noch einsteigen. Die Wasserfälle selbst sind sehr sehenswert, und man kann auf einem mit Treppen, Geländern und Brücke versicherten Pfad am Wasserfall entlang ansteigen und immer wieder neue Perspektiven entdecken. Der Ort Meiringen schlägt übrigens einiges Kapital aus diesem Wasserfall, ist es doch der Ort, an dem Conan Doyle seinen Sherlock Holmes sterben lässt.

Damit begann ein recht entspannter Anstieg im Reichenbachtal. Der Weg verläuft lange Strecken nebem dem Bach in ziemlich geringer Steigung. Passagen neben dem Bach wechseln sich mit Straßenstücken und kurzen Waldpfaden ab. Und obwohl ich sehr gemütlich gehe, bin ich heute mal nicht der langsamste.

Langsam bergauf mit Blick auf fast nichts

Unterwegs bestaune ich eine kreative Art der Holzwirtschaft. Man schlägt die Bäume am Hang, hängt sie an den Haken der Seilbahn, lässt sie bis zur Sammelstelle fahren und dann einfach ab, bis sie die Maschine greifen kann. Sah cool aus, hoffentlich kann man das erkennen.

Holzernte in Gschwantenmad

Trotz der Straße war es sehr ruhig, nur das “Postauto” (der Linienbus) fiel mit seiner regelmäßigen Fanfare auf. Der Gegenverkehr muss schließlich gewarnt werden.

Ganz so einfach darf der Tag aber doch nicht werden. Die letzte Stunde im Aufstieg zur Großen Scheidegg auf der Passhöhe hat es wieder in sich. Selbstverständlich nieselt es wieder etwas, es ist steiler, irgendwie muss man die Höhe ja überwinden. Der Hammer aber ist der Wind, richtig stramm und eisig kalt. Ich kann mich nicht wie gestern durchgebeißen, sondern muss sogar ein Pulli zusätzlich anziehen, trotz der Anstrengung. Und dann: ein japanisch aussehender Mensch überholt mich mit perfektem Grüezi, im T-Shirt und mit Jutetasche. Um sich oben auf der Passhöhe auf die allerhöchste Aussichtsbank in den schlimmsten Wind zu setzen. Und eine Zigarette zu rauchen! Tja, worüber klage ich … Ich bin trotzdem für das Berggasthaus und dessen warmes Essen dankbar. Und nach einer Stunde Pause sieht alles auch schon wieder viel besser aus und ein traumhafter Abstieg auf schönen Almen und mit tollem Ausblick beginnt.

Von der Großen Scheidegg nach Grindelwald

Rechter Hand stehen Wetterhorn und Matterberg Spalier und ich meine kurz den Oberen Grindelwaldgletscher am Schreckhorn zu sehen. Linker Hand leuchtet der First, wo ich dieses Jahr schon Skifahren war. Weil die Wege insgesamt wenig Stolperfallen bieten, kann ich das auch ausführlich genießen. Und den Radfahrern und Mitwanderern fröhlich grüßend ausweichen. Nur der Blickfang schlechthin ist nicht zu sehen. Aber irgendwas ist ja immer.

Der Eiger gibt sich bedeckt

Wind und Weide

Dieser Tag fängt an wie der gestrige aufhört, mit Regen. Die Vorhersage verspricht Besserung gegen Mittag und vor allem drohen keine Gewitter. Also habe ich mit allen anderen Wanderern im Hotel das erste regenfreie Fenster abgewartet und die Etappe angegangen. Josefstaktik brauchte es nicht, aber ein paar Notausstiege habe ich mir schon zurechtgelegt. Das gehört zum Handwerkszeug in den Alpen.

Vor mir liegt zunächst der Anstieg zum Tannensee und eine wunderbare Wanderung auf einem Wiesengrat bis zum höchsten Punkt des Tages, dem Balmerhoren. Die offizielle Wegbeschreibung verspricht enthusiastische Ausblicke, mit Tiefblick ins Tal linkerhand und Fernblick zum Jungfraugebiet. Allein da sind die Wolken, und damit bleibt nur der Blick rechterhand zum Melchsee, siehe Blogfoto oben. Und der Regen und ein sehr unangenehmer Wind sind wieder da, und ach ja, kalt ist es auch. Ich beiße mich durch. Schließlich lockt zur Hälfte des Tages das Panoramarestaurant Alpentower, drunter macht man es im Skigebiet Hasliberg nicht, daher kenne ich das nämlich. Schön ist es irgendwie trotz allem.

Gratwanderung Richtung Balmeregghoren

Wind und Regen sind aber nicht die einzigen Herausforderungen. Wegen der Wolken sieht man es nicht so, aber weite Strecken des Weges sind ziemlich ausgesetzt. Das Gelände ist halt steil. Der Weg ist zum Glück hervorragend gebaut, oft aus dem Fels rausgehauen, mit Schotter begradigt, so dass es kaum Stellen gab, an denen ich über den nächsten Tritt nachdenken musste. Aufpassen aber schon. Und an einer Stelle hat man sogar eine Seilsicherung angebracht, bei einem derart breiten guten Pfad vielleicht ein ganz klein wenig übertrieben.

Perfekt eingerichteter ausgesetzter Pfad

Und dann sind da noch die Kühe. Die Wiesen hier werden sämtlich als Weiden genutzt und die Kühe stehen wieso auch immer gerne auf den Wanderwegen rum. Ist für sie vielleicht bequemer, was weiß ich. Kühe sind zum Glück recht entspannte Wesen, man muss sich nicht fürchten. Aber dass sie so tiefenentspannt sind, dass sie nicht einmal pro forma etwas zur Seite gehen, war mir noch nicht so klar. Und so gehe ich nicht ganz so tiefenentspannt hinter der Kuh durch. Man erinnere sich, das ist ein Grat. Sie hat nicht gezuckt, zum Glück. Ist heute noch ein paar Mal vorgekommen, aber nicht mehr auf einem so schmalen Pfad.

Man teilt sich den Weg

Kurz darauf verlasse ich den Grat und quere die Fels- und Wiesenhänge unterhalb des Rotstock. Jetzt bin ich komplett im Nebel, sehe nicht mal mehr die steil abfallenden Wiesen. Und es nieselt weiter, ich bin aber inzwischen im Windschatten. Und am Ende kommt der Alpentower tatsächlich und ich wärme mich bei einem Stück Haslikuchen auf (ist hier eine lokale Spezialität, irgendwas mit Nuss und Möhre).

Ich spiele kurz mit dem Gedanken, per Seilbahn die folgenden 1.800 m nach Meiringen abzufahren. Aber erstens Wanderehre, zweitens kein Regen in Sicht, drittens 45 CHF. Nun ja, ich gehe los. Und es ist wirklich oft so. Plötzlich ist alles auf einmal leicht. Der Weg ist superbequem zu gehen, der Wind legt sich, und der Himmel reißt auf. Und als ich ein Stückchen tiefer komme, habe ich sogar das Gefühl, es würde ein ganz klein wenig warm werden.

Das Haslital bis zum Brienzer See

Und so gehe ich über Stunden über die Almen und später den mir nur als Skigebiet bekannten Hasliberg bergab. Ich war hier schon einmal Skifahren und erkenne nichts. Außer den Liften und dem Ort Reutti. Ich merke nicht einmal, dass ich die ganze Zeit über die roten Abfahrten 18 und 19 absteige, ich hatte das Skigebiet ganz woanders vermutet. Schön ist es trotzdem und jetzt sehe ich ja auch ein bißchen was. Und ich freue mich, dass jemand eine kleine Tischdeko an einem Rastplatz hinterlassen hat.

Jemand hat den Berg dekoriert

Und als ich in Meiringen ankomme, brennen die Füsse, aber alles ist gut.

Die Josefstaktik

Nach einer wunderbaren Nacht auf der Alp Hobiel und einem guten Frühstück inklusive Käse aus eigener Milch haben wir uns nach herzlicher Verabschiedung von der Wirtsfamilie wieder auf den Weg gemacht.

Der war aber gar nicht so einfach. Denn schon am Vorabend war Schlechtwetter angesagt, Unwetterwarnung Stufe Gelb mit der Möglichkeit schwerer Gewitter ausgegeben, kurz nach dem Aufstehen hatte dann auch der Regen eingesetzt und es sah nicht so aus als werde das ein Wandertag.

Bei Gewitter hat man auf dem Berg nichts zu suchen. Die Übernachtungen waren aber schon gebucht. Also habe ich überlegt, diese Etappe einfach auszulassen und per Bus zur nächsten Unterkunft zu fahren. Oder in Engelberg zu bleiben und alle weiteren Übernachtungen einen Tag nach hinten umzubuchen. Alles nicht so toll. Und vor allem wurde mir schon am zweiten Tag klar, dass die weitere Wanderung Richtung Nizza anders zu organisieren ist und anders ablaufen wird wie bisher.

Die Lösung des Problems kam vom Großvater der Alm Josef Zurfluh: es gebe eine Seilbahn zum Trübsee und zum Jochpass und man könne sich eh nicht auf die Vorhersagen verlassen, oft komme es anders. Man gehe Schritt für Schritt vor und sehe dann weiter und das haben wir gemacht. Von der Alp zur ersten Seilbahn, die wurde aber zum Abtransport der Käseleibe der Sennerei gebraucht und war auf 2 Stunden belegt. Also zur nächsten Seilbahn jetzt im Regen, die fuhr aber nicht wegen zu starkem Wind und so warteten wir im Restaurant, bis die Seilbahn fahren konnte. Unten an die Bushaltestelle, das Wetter wurde aber freundlicher und deshalb zu Fuß weiter. Am Campingplatz wieder auf die Wetterapps und den Himmel geschaut, die nächste Stunde blieb trocken und so sind wir zur Gerschnialp auf- und nicht nach Engelberg ausgestiegen. Auf der Alp wiederum regnete es, aber man versicherte uns, der steile Pfad sei gut befestigt und bei den Bedingungen gut benutzbar. Also hoch zum Trübsee. Und dort sah es nach ein bis zwei Stunden Wetterruhe aus. Ich habe mich aber nicht getraut, bei der instabilen Witterung die verbleibenden drei Stunden ohne Notausgang zu wandern. Zumal Christoph sich an dieser Stelle leider nach Hause verabschieden musste. Also mit dem Sessellift hoch zum Jochpass und die letzte Stunde bergab zum Ziel. Hat auch alles gepasst. Kurz bevor ich unten ankam, ging der Regen wieder los. Und etwas später folgte dann auch das Gewitter. Insgesamt bin ich mit der Josefstaktik praktisch die gesamte Etappe gewandert und am geplanten Ziel sicher angekommen.

Die erste Seilbahn – die Fürenalpbahn – war überraschend spektakulär, eine kleine 6-Personen-Gondel mit Seilbahnfahrer fuhr nach sanftem Beginn über die Kante der dortigen beeindruckenden Felswand und wir hatten völlig unvorbereitet 600 m Luft unter uns. Wer genau hinschaut, findet die kleine rote Gondel:

Fürenalpbahn

Die Steilheit des Anstiegs zum Trübsee konnte ich leider nicht richtig ins Bild setzen, aber man erkennt es vielleicht am Vis-à-vis mit den Gondeln der Luftseilbahn von der Gerschnialp.

Luftseilbahn kurz vor der Bergstation

Der Trübsee wiederum ist tatsächlich trüb, aber ob er deshalb so heißt weiß ich nicht. Das gesamte Kar um ihn herum und das Panorama ist als solches sehr sehenswert. Trotzdem ist nicht zu übersehen, dass wir im Skigebiet Engelberg-Titlis sind. Und dank der Seilbahnen findet sich hier viel internationales Publikum ein, dem Wandern gelinde gesagt eher fremd scheint. Ein arabisches Paar hat uns direkt angesprochen und war erstaunt und begeistert, dass wir zu Fuss hier hochgekommen sind und schon seit 6 Stunden unterwegs! Fand man cool, gab ein Faustcheck. Wir waren dann auch begeistert. Und gleich im Anschluss gabs ein Daumen-hoch von einem Inder (Disclaimer: ich weiß). Ich war stolz auf uns. Trotzdem habe ich das alles aus dem Foto ausgeblendet.

Der Trübsee

Dann noch den Engstlensee von oben, die Engstlenalp mit Hotel ist ein paar Meter unterhalb und als kleiner weißer Fleck zu sehen. Ich schwöre, ich habe das Bild fotografiert und nicht gemalt.

Engstlensee

Das Hotel selbst bietet sehr schöne “Nostalgiezimmer” an, die wirklich wie aus dem 19. Jahrhundert wirken, von der elektrischen Beleuchtung mal abgesehen. Eine ganz andere und auf ihre Art ebenfalls sehr empfehlenswerte Unterkunft mit gutem 4-Gänge-Halbpensionsmenü.

Hotel Engstlenalp

Und zum Abschluss nochmal die Josefstaktik: ich wusste von vorneherein, dass am Hotel der Bus fährt. Die Wettervorhersage ist nämlich auch für den folgenden Tag schlecht und es braucht auch hier den Plan B.

Es geht los

Die Etappe beginnt mit wunderbarem Wetter und das bleibt auch so. Wir haben uns früh auf die Socken gemacht, weil ein für unsere Verhältnisse heftiger Anstieg bevorstand. Es ist die erste Alpenetappe und die fordert uns auch gleich. Glücklicherweise können wir uns erst einmal etwas warmlaufen, das komplett flache Reusstal ist zu durchqueren. Hier verläuft die Nord-Süd-Eisenbahn durch den Gotthard-Basistunnel, dessen Nordportal nur gute 3 km entfernt ist. Leider gibt es eine Unterführung und keine Brücke über die Bahntrasse, so dass nichts zu sehen war.

Anfahrt zum Nordportal des Gotthard-Basistunnels

Aber dann geht es los, wir lassen die Seilbahn auf den Büsti links liegen. Wir hatten durchaus mit dem Gedanken gespielt, es uns etwas einfacher zu machen, haben uns glücklicherweise dagegen entschieden. Wir haben den Aufstieg gut geschafft. Den Anfang bilden schmale Wiesenpfade, die von seitlichen Mauern eingefasst sind und so wie Rinnen wirken. Das war sehr schön, aber verseucht von Bremsen. Glücklicherweise waren die im anschließenden sehr steilen Waldstück dann auch schon wieder weg. Und als die Bergstation der Seilbahn auftauchte, war der anstrengendste Teil schon hinter uns. Ab jetzt ging es etwas weniger steil bergan. Schön war ein kleiner Gratabschnitt mit schmalen Pfaden, seilversichert, bergauf, bergab. Und was ab jetzt auch anders ist: nicht mehr die gelbe Raute, sondern das alpine Weiß-Rot-Weiß markiert den Weg.

Alpiner Pfad mit der typischen Markierung

Jetzt sind wir wirklich in den Alpen angekommen. Wir haben immer wieder Tiefblicke zurück zum Vierwaldstätter See (siehe Beitragsfoto) und vor uns gewaltige Hänge.

Der Sunnige Stöck

Genau zum richtigen Zeitpunkt waren wir oben am Pass, nach 6 Stunden Aufstieg als es dann auch gereicht hat. Und wie so oft in meiner Alpinkarriere waren nicht nur andere Wanderer und Biker da (es war Sonntag), sondern es flogen auch wieder die Alpendohlen um uns herum. Was auch immer sie da machen, sie sind immer da.

Surenenpass

Nach schöner Pause und kurzen Chats mit den Lieben haben wir uns wieder aufgemacht (entgegen dem allgemeinen Vorurteil hat das Schweizer Mobilfunknetz heute deutliche Löcher). Der Abstieg war flacher, auf etwas breiteren, geschotterten Wegen und somit ziemlich einfach. Wir haben uns über die Murmeltiere um uns herum gefreut, den beachtlichen Aufstieg so gut geschafft zu haben, und die grandiose Kulisse genossen.

Blick ins Surenen – Titlis im Hintergrund

Und da Christoph gut aufgepasst hat, sind wir auch nicht zum eigentlichen Etappenziel Stäfelialp gewandert, sondern zur Alp Hobiel, wo wir gute Unterkunft hatten. Aber weder WLAN noch Mobilfunk.