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Auslaufen

Donnerstag war der letzte Wandertag. Es wurde eine Doppeletappe, weil die geplante nächste Etappe einfach zu kurz war. Ich wäre da schon halb zwölf durch gewesen, das wollte ich nicht. So wurden es fast 11 Stunden Wanderzeit für 34 Kilometer. Das ganze aber in langen Stücken als Talwanderung, das lief sich immer wieder von selbst. Was ich daraus lerne: ich werde nicht mehr vorab reservieren, das ist in Frankreich nicht nötig. Stattdessen wird am Abend entschieden, wo es am nächsten Tag hingeht. Als einzelner Wanderer findet sich ein Platz, und zur Not werde ich ein kleines Zelt oder einen Biwaksack mitnehmen. Wie schon erzählt, kann man in Frankreich immer bei den Refuges campieren und kriegt dort Essen und Sanitär. Lektion gelernt.

Aber leider weiß ich nicht, wann es weitergeht. Vielleicht nächsten Sommer, vielleicht später. Abonniert doch einfach den Blog, dann kriegt ihr automatisch den nächsten Eintrag per Mail [Menüstreifen runterscrollen, E-Mail-Adresse ins Feld neben Abonnieren eintragen, auf Abonnieren klicken]. Sobald es weitergeht.

Der Tag fängt mit den letzten beiden Stunden im Nationalpark Vanoise an, was mir wieder einmal einen schönen stillen Morgen beschert hat. Ich bin früh unterwegs und daher fast allein, gehe an einer schönen Refuge vorbei. Die ersten Gäste packen gerade ihre Rucksäcke. Tierbeobachter mit gigantischem Fernrohr haben sich in Stellung gebracht. Das war`s. Und ganz am Rand, gerade eben schon außerhalb des Parks gab’s dann auch wieder Mobilfunkempfang.

Telefonieren

Ab da geht es erst wieder über einen Almengürtel, später recht steilen Wald ab ins Tal. Aus irgendeinem Grund sammeln sich hier ziemlich viele verfallene Häuschen, obwohl die Gegend durchaus bewirtschaftet wird und viele Almen und kleine Geschäfte in den Ortschaften ihren Käse anbieten. Spezialität ist der Tomme de Savoie, der hier Tomme de Montagne heißt. Trotzdem ist viel verfallen, das habe ich auf den Alpenetappen bislang nirgends gesehen.

Das Tal teleportiert mich dann aus den Alpen. Es ist hochsommerlich, und man sieht die (Fast-) Viertausender der Gegend nicht, sie sind hinter den bewaldeten Vorbergen verschwunden. Wäre der Ausblick in der Ferne nicht, ich würde mich in den Vogesen, den Pyrenäen, vermutlich halb Zentralfrankreich ähnlich fühlen.

Val Cenis

Und ich kann es mal laufen lassen, die Wege sind breit und stolperfallenfrei, das ist schön. Leider weicht der Weg aber immer wieder auf den Hang hoch aus, wieso auch immer. Man bemüht sich wohl um maximale Naturnähe. Brauche ich heute nicht. Ich freue mich über die Orte hier, die sehen nochmal mehr nach Frankreich aus wie die in den letzten Tagen schon. Es gibt Alimentation, Epicerie, Fromagerie, die Bar, die Kirche, die Mairie …

Termignon

… natürlich das Denkmal, und im Ort Bramans das kleine Restaurant, wo ich eine Apfelschorle getrunken habe. Die muss man sich hier übrigens unter den verwunderten Augen des Personals selbst zusammenmischen.

Les Glaciers in Bramans

Dann gibt`s noch ein kleines Rätsel: was ist das bzw. was ist da?

Klarheit

Ich war – na ja, nicht geschockt, aber – sehr erstaunt. Es ist ein Tümpel, dessen Wasser derart still und klar ist, dass man es auf dem Foto praktisch gar nicht, in Realität erst sehr spät sieht. Das blassgrünliche ist sämtlich altes Gehölz unter Wasser. Wer den Herrn der Ringe gesehen hat: das ist die Originalvorlage der Totensümpfe. Ich habe das in dieser Klarheit noch nie gesehen.

Mein Ziel Modane stellte sich als ziemliche Pleite heraus. Der Ort selbst ist komplett tot. Und der Bahnhof liegt einen Kilometer flussabwärts, die wenigen Hotels, Restaurants und Geschäfte versammeln sich alle hier. Und zwar ins enge Tal gequetscht direkt nebeneinander: Bahn, Nationalstraße, genau eine Häuserzeile, Fluss. Und wie ich dann auch noch feststellen musste, war auch der Bahnhof komplett tot: keine Züge, Schienenersatzverkehr. Da kann man sich in eines der Cafés setzen und schauen, wer kommt. Mit dem Auto. Oder dem Bus. Und wer wieder geht.

Und dann waren die Wanderwochen zu Ende.

Schotterwelten

Ein gemütlicher Mittwoch wieder im Nationalpark Vanoise. Von dieser Etappe gibt es nichts zu erzählen 🙂 Nur ein paar Fotos, hier aus der Morgenfrische …

Tignes hinter Lac

… oder etwas später beim Betreten des Nationalparks. Man kennzeichnet den Wanderweg hier nicht nur rot-weiß, wie sonst immer. Ist schließlich ein Nationalpark.

Wegmarkierung zu Beginn des Nationalparks Vanoise

Der Weg umkreist im Grunde den gesamten Tag den zentralen Gebirgsstock nebst Gletscher der Gegend:

Glacier de la Grande Motte

Wie man vielleicht erkennt, gibt es hier eine zum Skigebiet Tignes gehörende Seilbahn. Vermutlich deshalb ist exakt der Gletscher aus der Nationalparkkernzone ausgeklammert. Man scheint da pragmatisch zu sein. An anderer Stelle hat man Nägel mit Köpfen gemacht:

Überreste des zurückgebauten Stausees auf der Plan des Nettes

Die nächste Station ist die Refuge de la Laisse, die tatsächlich nur einmal im Jahr per Helikopter versorgt wird. Frischwaren werden von der nächsten Alp regelmäßig hochgetragen. Es ist also spartanisch. Sah aber wunderbar in Schuss gehalten aus, und ich habe mir einen ganz tollen Crepe gegönnt. Übernachtet hier, falls ihr mal in die Gegend kommt.

Refuge de la Laisse

Hab ich schon erzählt, dass ich den kompletten Aufenthalt dort auf Französisch bestritten habe? Es macht mir Spaß. Mein Plan hat mich aber eine Unterkunft weiter geführt. War auch ok, aber nicht begeisternd.

Blick von der Refuge Entre Deux Eaux in die unwegsame Doron de Termignon

Außer dass mir einige britische Gäste ein Kartenspiel names Black Jack gezeigt haben. Das aber nichts mit dem 17-und-4-ähnlichen Black Jack der Kasinos zu tun hat, sondern mit Mau-Mau. Hat Spaß gemacht, außer dass ich wirklich nicht den Namen Mau-Mau erklären konnte. Dafür habe ich das letzte Spiel gewonnen.

Aber vielleicht möchte ich doch noch mal die Frage beantworten, ob mir so allein nicht langweilig ist. Wenig überraschende Antwort: nein, auch wenn ich mich über Gesellschaft jedes mal sehr gefreut habe. Erstens beschäftigt mich das Wandern als solches. Also: wo ist der Weg, wo muss der nächste Schritt hin, teile ich meine Kräfte richtig ein, wie weit ist es noch zum nächsten Schnitzel (ok, ich esse unterwegs üblicherweise wenig), wo sind eigentlich die anderen Wanderer geblieben, … Zweitens achte ich bei meiner Wegführung auf Abwechslung: nicht immer nur Schotter wie heute, sondern eben auch Almen, Wald, anspruchsvolle Wege, Dörfer, Städtchen. Ich kann stundenlang schauen, was ich zum Beispiel in Tignes alles sehe. Und drüber nachdenken, das geht von der Idee unbedingt auf den Mond fliegen zu wollen bis hin zur fundamentalen Bedeutung des Lebens für die Gestalt der Gebirge, die ich hier sehe (Stichworte zum Sedimentgestein, das ja zu großen Teilen aus Überresten von Lebewesen besteht; oder Cyanbakterien, die vor Urzeiten überhaupt die Sauerstoffatmosphäre geschaffen haben). Oder – wieder zurück nach Tignes – die Frage, ob diese Art Tourismus nun besser oder schlechter als zum Beispiel der Tiroler Ansatz ist. Oder sich das ganze eh nicht grün waschen lässt. Drittens und nicht zuletzt beschäftigt mich dieser Blog. Was schön ist. Ich schaue viel nach Fotomotiven, ich notiere mir unterwegs, was berichtenswert sein könnte. Und nachmittags in der Unterkunft bereite ich das alles auf und lade es hoch. Zusätzlich zur üblichen Alltagsroutine wie Wäsche waschen usw. Und wenn all das nicht reicht, höre ich Podcasts.

Das habe ich in diesen drei Wochen bislang null mal getan.

Wow

Heute abend endlich wieder Hotel! Mit diesem Gefühl habe ich mich auf den Weg gemacht, mitnichten alleine. Wir sind ungefähr 20 Wanderer in der Refuge, die den GR5 in den nächsten Tagen bis Modane gehen wollen. Da aber jeder seine eigene Etappeneinteilung hat und jeder sein eigenes Gehtempo, geht auch jeder oder jede Gruppe für sich. Es sind ziemlich viele junge Leute dabei, das liegt vermutlich an der Existenz der billigen Refuges und an der Möglichkeit, in Frankreich jederzeit überall sein Zelt aufschlagen zu können. So haben wir Gäste hier, die zwar in der Refuge essen, aber auf der Wiese davor ihr Zelt aufbauen. Und andersrum gibt es Gäste, die zwar in der Refuge übernachten, aber auf deren Terrasse ihr eigenes Essen kochen. Und natürlich mich, der das komplette Angebot der Refuge nutzt.

Heute hatte ich mir vorgenommen, mich aufs Wandern zu konzentrieren. Ich wollte mal keine oder nur wenig Fotos machen. Aber die Etappe stellte sich als so gemütlich und so interessant heraus .. nun ja, es wurden 124 Fotos.

In den ersten Stunden Richtung Passhöhe ging man von der Refuge einfach das Tal weiter hoch, jetzt mitten in der Morgenstille in der Kernzone des Nationalparks. Von ein paar Flachstücken abgesehen …

Auf der Plan de la Plagne

… stieg der Pfad so langsam und gleichmäßig an, dass die Anstrengung kaum zu merken war und mehr Zeit als sonst für Pausen blieb.

Mir war langweilig

Unterwegs habe ich mich mit der Frage beschäftigt, wieso im Nationalpark Hunde verboten sind, auch mit Leine. Ein Schild weist extra darauf hin. Aber trotzdem Kühe der zur Refuge Entre le Lac gehörenden Alm hier grasen dürfen. Ich kam zu keinem Ergebnis. Dann habe ich vergeblich versucht, die Murmeltiere um mich herum sinnvoll aufs Foto zu bringen. Die haben so ungefähr 10 Meter Abstand gehalten, das hat den Zoom meines Handys leider überfordert. So waren es nicht 124 gelungene Fotos, leider. Kurz vor der Passhöhe liegt die Refuge du Col du Palet, die sehr einladend aussah.

Refuge du Col du Palet

Hier habe ich die einzige Mitstarterin aus der Hütte heute früh wieder getroffen, der Rest hat sich auf der Distanz dann doch verlaufen. Ich bin weitergegangen, auf die Aussicht auf der anderen Passseite gespannt. Und die war spannend. Als erstes fiel mir ein Pickup auf. Angesichts der Passhöhe von 2.652m fand ich das bemerkenswert. Die Bedeutung wurde mir erst später klar, Wanderer betreten Orte sehr oft durch den Hintereingang. So war es auch diesmal. Dann hat ein Murmeltier gepfiffen, und da fiel mir auf: wo sind die Ordner? An sehr vielen Pässen zumindest in Tirol und Südtirol fliegen Alpendohlen herum. Schöne Vögel. Ich hatte immer den Eindruck, sie wollten auf uns aufpassen. Deshalb „die Ordner“. Aber ich habe in den letzten zwei Wochen und auch heute keine gesehen. Schade eigentlich, ich mag diese Tiere.

Nach dieser Ablenkung hab ich mich dann umgeschaut und ein tolles Panorama aus Gletscher, Felsen, Schotter rechts von mir vorgefunden. Ich hab beschlossen, beim Abstieg zu trödeln und hab immer wieder andere Perspektiven gesehen und auch fotografiert. Ein kleiner Eindruck vielleicht hier:

Gesteinswelt um Vés und Pramecous

So war ich komplett unvorbereitet, als mich Val Claret und Tignes trafen. Ich bin um einen kleinen Linksknick gelaufen, und plötzlich standen im Tal zwei große Raumschiffe. 10 Sekunden, 20 Sekunden, Gedanken sortieren, und dann realisierte ich, dass es sich um den Skiort Tignes nebst Satellitensiedlung Val Claret handelt. Ich wusste ja, dass ich nach Tignes wandere. Ich wusste auch, dass Tignes ein Skigebiet ist. Aber so was habe ich noch nie gesehen.

Das gesamte Hochtal nebst drei oder vier Seitentälern bis hoch zum Gletscher war mit Liften erschlossen (zu deren Wartung offensichtlich auch ebenjener Pickup unterwegs war). Und im Zentrum des ganzen wie die Spinnen im Netz zwei Siedlungen, die kompakter kaum gebaut werden können. Oberhalb Val Claret …

Val Claret

… unterhalb Tignes mitsamt See.

Tignes

Mich hat das beeindruckt. Es ist halt einfach nur als Ferienort gebaut, es hat keine Verbindung zu irgendeinem althergebrachtem Dorf, wie ich es aus Österreich kenne. Es ist einfach alles ins Zentrum des Skigebiets gebaut, es ist alles da was man braucht, und es ist alles an einem Ort. Und auch im Sommer ist hier was los, ich war nicht allein. Insofern gab es im Abstieg dann – ich habe weiter ausgiebig getrödelt – total viel zu sehen.

Mitten am Nachmittag bin ich tatsächlich im Hotel (und ich hab mir wieder ein gutes, passendes ausgesucht, wie auch immer ich das mache) und sitze auf der Terrasse der Bar mit Blick auf das Zentrum Tignes, auf Val Claret, auf die Berge und habe das Gefühl: alles wie Tropical Island, nur die Kulisse ist nicht gemalt. Aber die Assoziation kann auch vom Saunageruch meines Hotels stammen, der seinen Weg auf die Terrasse gefunden hat.

Wasser

Hefte raus, Thementag! Es geht um Wasser. Ja, selbstverständlich begann auch diese Etappe wieder im Nebel, der sich erst am späten Vormittag gelichtet hat. Aber das hat heute nicht gestört. Auch geregnet hat es nicht. Der Weg verlief zweimal etwas länger an Gewässern, die ich ganz beeindruckend fand. Dazu gab’s einen Flächenwasserfall und eine französische Erklärungstafel des Wasserkreislaufs. Plus die allgegenwärtigen Ermahnungen der Refuge am Nachmittag, wie wertvoll das Wasser sei. Und ich ergo bitte nicht länger als 3 Minuten duschen soll.

Vorgenommen hatte ich mir den Thementag natürlich nicht. Für mich war nach den beiden langen Vortagen Hosentaschentag. Will heißen: ich gehe so langsam und entspannt, dass ich erstens keine Stöcke brauche und zweitens die Hände in den Hosentaschen lassen kann. Die Etappe war auch kurz und das ganze hat hervorragend geklappt.

Zunächst ging es durch die Dörfer bergab. Das war so still, dass sich von meiner plötzlichen Präsenz eine Katze kurz so irritiert gefühlt hat, dass ihr der Vogel wieder durch die Lappen gegangen ist, den sie eigentlich schon in den Fängen hatte. So ging das bis hinunter ins Tal der Isère, und auf der anderen Seite im Grunde gleich wieder hoch.

Das kleine Seitental, in das ich jetzt ansteige, zählt sich zum des Nationalparks Vanoise, am Nachmittag sah man ihn auch:

Zum Nationalpark Vanoise

Der ist hier die große Attraktion, und man zählt sich zur Randzone des Nationalparks, obwohl sich im Tal eigentlich Örtchen an Örtchen aneinander reihen. Aber die sind schön, wenn auch nicht ohne Bedienungsanleitung zu betreten:

Das weiße Kreuz auf rotem Grund steht weder für die Schweiz noch für Dänemark, sondern Savoyen

Und weil mir inzwischen mein Vorrat an Notverpflegung ausgegangen ist, bin ich über den Tante-Emma-Laden in Peisey sehr dankbar. Der nennt sich in gewisser Überschätzung dessen was wir hier so tun „Sherpa Alimentation“. Ich gehe weiter, bis ich am Ende einer Hochfläche – und auch am Ende der Straße – in diesem Tal meine Refuge vorfinde. Die ist gleichzeitig Nationalparkzentrum, auf das ich mich morgen freuen darf.

Zurück zum Wasser. Da ich mir wie schon öfter gesagt, die Etappen vorab nicht immer ganz genau anschaue, war ich am Vormittag ziemlich überrascht, einige Zeit direkt an der Isère zu gehen. Das ist eine der Isar, Iller, Lech und Inn Frankreichs, und fließt halt zu der Rhone hin. Die Isère entspringt hier im Nationalpark und ist dafür schon ziemlich breit, schnell fließend und ein bißchen wild.

Die Isère

Mir hat das ausnehmend gut gefallen neben dem Fluss, und im übrigen geht es sich da zur Abwechslung mal tatsächlich ebenerdig. Und ein ganzes Stück später, nach den Dörfern, verlief der Weg neben einem der kleinen Zuflüsse der Isère, dem Ponturin. Der war dann richtig wild, hatte aber wunderbar klares Wasser, eine frische Gischt, und immer wieder natürliche kleine Becken, die sich als Pool angeboten haben. Warm genug fürs Baden war es aber nicht, außerdem waren das eher Whirlpools als ruhige Wellnessbecken. Aber egal, ich hätte mich am liebsten einfach reingelegt.

Wildwasser am Ponturin

Und als scheine mir die Natur heute was erklären zu wollen, folgte etwas später Anschauungsmaterial, woher das Wasser im Ponturin kommt. Ich hab’s glaube ich nicht richtig auf das Foto gekriegt, aber am Hang floss an einer Stelle auf vielleicht 20 Metern Breite Wasser herab. Sah von Ferne massiv aus, aber das gesamte Wasser wurde letztlich in einem ziemlich kleinen Bächlein eingesammelt. Hat aber trotzdem was hergemacht.

Wasserzulauf oberhalb Les Lanches

So hatte ich das jetzt alles in schöner Reihenfolge gesehen, da fehlte nur noch die Erklärungstafel vom Ganzen. Und schon war sie da, als kleine Französischlektion für mich, sozusagen.

Nachmittagssonne

Es regnet und das Frühstück des französischen Alpenvereins ist sensationell schlecht. Da könnten sie schon noch mal dran arbeiten. Wenigstens hier an der Tour de Mont Blanc, die ihre Hütte immer komplett füllt. Es sind ca 100 Leute hier, und ich kann identifizieren aus: USA, Kanada, Spanien, Chile, Niederlande (wir haben zusammen gegessen), dann hatten wir noch Indien, Frankreich, Deutschland, und was weiß ich noch. Und dann kriegen sie trockenes, hartes, schlecht selbstgebackenes Brot. Und dünnen Kaffee aus (jawoll!) 10-Liter-Plastikcontainern.

Egal. Heute verlasse ich die Tour de Mont Blanc. Ich beende die gestrige Etappe und hänge gleich noch eine Etappe dran. Ich folge damit dem GR5, einem prominenten der vielen nationalen Weitwanderwege Frankreichs. Ich zähle einen einzigen anderen Wanderer, der sich kurz vor mir von der Hütte in diese Richtung aufmacht. Das war’s.

Wegen des Regens bin ich etwas später los, er hatte dann aufgehört. Trotzdem war die erste Stunde wieder eine kleine Mutprobe, der exzellent eingerichtete Weg am Grat war wegen der Nässe an einigen Stellen dennoch rutschig und erforderte ziemliche Konzentration. Es ging halt recht steil runter, direkt daneben. Dann aber folgte ein entspannter Abstieg zu einer kleinen Siedlung an einer Landstraße, und zu meiner Freude klarte der Himmel auf. Das war so vorausgesagt. Und weil der Tag lang wird, hatte ich mich sehr darauf gefreut. Schwierige Etappen gehen sich wesentlich leichter, wenn die Sonne scheint. Keine Ahnung warum, es ist nicht nur die Wärme.

Plan de la Lai

Auf dem Weg hinunter musste ich übrigens meine Behauptung zu den Kühen zurückziehen, bzw. den Bauern. Es gab doch einige Herden heute. Und es gab dann doch auch wieder Bauern, die die Wanderer direkt durch ihre Herde durchlaufen lassen. Na ja, wer ist schon perfekt.

Dafür muss ich mich mal unqualifiziert lobend zu den Hunden hier äußern, die machen einen wirklich coolen Eindruck. Wenn der Wanderer vorbeikommt, schaut man interessiert, und das war’s. Man hält den Mund und kümmert sich um seine Angelegenheiten. Und wirklich viele Hunde müssen hier hinter ihren Besitzern her den Berg rauf und runter rennen. Scheint ihnen gut zu tun. Zwei von ihnen standen hinten auf der Ladefläche eines vorbeifahrenden Pickup, dass sieht auch immer gut aus. Und wirkte routiniert und gekonnt von den beiden.

Der weitere Weg hat dann leider aber genervt. Erstes Problem: die Wolken aus dem Tal zogen etwas hoch und ich stand im Nebel. Mal wieder. Zweites Problem: wir sind eigentlich an einem See, der markierte Wanderweg führt aber ziemlich weit oberhalb über die Grashänge. Den See kann ich so nicht sehen, vielleicht wäre das bei Sonnenschein anders gewesen. Aber was ich sehe: Gras, Gras, Felsen, Gras, Matsch, Matsch, Gras, Matsch, Felsen, Gras … Und das ganze noch nicht einmal locker geradeaus, sondern in einem sinnlosen ständigen Auf und Ab. Ich war echt genervt. Als dann der Anstieg zum Col losging, war ich regelrecht froh, diesen Mist hinter mir gelassen zu haben. Aber der Nebel war immer noch da, fast bis zur Passhöhe selbst. Da konnte ich dann zum ersten Mal sehen, wo ich überhaupt war. Trotzdem bin ich ohne Pause auf der anderen Seite gleich wieder abgestiegen. Es waren ja noch 11 km zu gehen und ich war wegen des Regens spät dran. Zunächst sehr lange eine talauswärtsführende Schotterstraße, dann ein kleiner Pfad in den Wald. Das war genauso zäh wie die Grasorgie im Nebel am Vormittag.

Und als ich mich schon auf den Standardabstieg auf Waldpfaden eingestellt hatte, ging ich um eine Ecke und es passierte das:

Wilde Wiese oberhalb Valezan

Ich stand plötzlich mitten im Sommer. Statt Wald folgte ein offener Wiesenhang, und zwar ein wilder. Es gab nur ein paar Büsche und wenige Bäume. Da waren länger weder Kuh noch Schaf noch Bauer drauf. Es summte und sirrte, ein leichter Wind ließ die Blätter rascheln. Die Hitze flimmerte nicht wirklich, aber ich fühlte mich so. Ein Milan kreist über mir, Schmetterlinge flattern herum, die Grillen zirpen. Und der gesamte Weg ist voller Grashüpfer, die sich anscheinend sonnen. Oder was auch immer sie da machen. Und kurz bevor der Wanderschuh sie trifft, springen sie zur Seite. Wie Moses das Rote Meer geteilt hat. Oder so ähnlich.

Und ich war so froh, auf diese Nachmittagssonne hatte ich den ganzen Tag gewartet.

The Beauty and the Silence

Der Tag beginnt recht früh, man erwartet uns 6.30 Uhr zum Frühstück. Passt aber. Ich plaudere noch ein bisschen mit James, Joan und Sharon aus Wisconsin. Sie sind gerade erst eingeflogen, um in 10 Tagen die Tour de Mont Blanc zu gehen. Abgesehen davon, dass sie trotz Jetlag witzig waren und nicht geschnarcht haben, ist diese gut vermarktete und organisierbare Tour eigentlich ideal für sie. Man erlebt vom alpinen Hotspot Chamonix über die bewirtschaften Gebiete bis zum ständigen Ausblick auf die Gletscher eigentlich die komplett alpine Welt. Und das in den drei Ländern Frankreich, Schweiz, Italien und man kriegt es auch mit Anreise aus den USA in normale Sommerferien gepackt. Ich wünsche ihnen alles gut und viel Erleben auf dieser Tour.

Meine eigene Etappe beginnt still. Die Gegend hier ist für mich ausnehmend schön. Die Dörfer sind schön, sie sind komplett bewohnt und erkennbar gut in Schuss, die Berge bieten alles vom Bach bis zum Gletscher, es gibt überall gute Wege aber nicht zu viele, und wenn man mal die Feriengebiete ignoriert ist es auch vergleichsweise wenig zugebaut. Es kann hier sehr still sein. Wenn wir Wanderer nicht wären, natürlich. Aber manchmal kriege ich doch einen Eindruck von dieser Stille …

Morgenstille bei Bionnassay

… und der Schönheit, ausnahmsweise mal nicht als Berg.

Pont du Plan du Moulin

Man merkt heute aber schon, dass wieder Samstag ist (der letzte Samstag meiner Ferien, ich hab nur noch 7 Etappen!). Es sind wahnsinnig viele Leute unterwegs, und es ist ein Feriengebiet. Und es ist Bettenwechsel in den Ferienhäusern. Im Tal ist von Sommerbiathlon bis Hüpfburg alles da. Man merkt übrigens sofort am fehlenden Grüßen, dass man in der Zivilisation ist. Und ich habe zwei große Gruppen gesehen, die ihr Gepäck von einem Pferd haben tragen lassen. Es gab auch andere Gruppen, zwar mit Wanderführer aber ohne Pferd. Und alle Hütten am Weg waren voll, auch die Alpenvereinshütte, in der ich gelandet bin. Mir gefällt diese Abwechslung, nur Wiese und Schotter sind es auch nicht.

Es ist allerdings eine lange Etappe, ich habe ein Stück der nächsten Etappe angehängt. Ich muss ja immer noch den einen Tag reinholen, an dem ich nach Martigny zurückgekehrt bin. Heute sieht man es vielleicht im Bild, da gaaaanz hinten will ich rüber.

Der lange Anstieg Richtung Col du Bonhomme

Am Ende fühlte sie sich aber gar nicht so anstrengend an, wie es von den Daten 23 km und 1.600 Höhenmeter zu erwarten gewesen wäre. Es ging sich gut und ich hatte Zeit. Das wäre vielleicht der richtige Moment für eine von Schollis 5000 Wanderweisheiten: ich gehe langsam. Langsamer als fast alle, die ich unterwegs treffe. Vielleicht sind die fitter, mag schon sein. Aber mein Ziel ist immer, entspannt anzukommen. Das klappt auch oft, auch bei langen Etappen. Aber wieso? Erstens macht es einfach Spaß, müde aber entspannt zu sein. Es macht kein Spaß, sehr erschöpft oder gar überlastet zu sein. Und zweitens fühle ich mich gut, Reserven zu haben. Die braucht man nicht oft. Aber manchmal stellt man wie auf meiner Wandermaschinenetappe fest, dass man leider einen Umweg gehen muss. Oder man muss vorm Gewitter fliehen. Oder findet die Unterkunft gräßlich. Oder der Weg ist technisch schwieriger als gedacht und ergo anstrengender. Oder oder oder.

Und heute passierte es auch, in Form der Extrameile. Ich hatte mich die ganze Zeit auf den Pass fokussiert, der zu erreichen war. Und hatte etwas aus den Augen verloren, dass ich ab Pass ja noch eine Stunde zur Hütte weiter muss. Das hat zwar genervt, war aber am Ende eben kein Energieproblem. Und insgesamt war es wieder eine gute Trainingsetappe, ich will ja nebenbei noch für den Berlinmarathon Ende September fit werden.

Ein Foto möchte ich noch zeigen, eine Schieferformation am Anstieg zur Passhöhe. Die Platten sind fast senkrecht geschichtet, so sehr hat es das Gebirge gefaltet. Und der Schiefer hat in der Sonne richtig geglänzt, was auch auffällig schön war.

Schiefer am Col du Bonhomme

Und dann möchte ich noch meine Französischfortschritte berichten. Am Rand des Weges saß eine Familie bei der Rast, deren jüngste Tochter mir grinsend sowas wie „Allez“ zugerufen hat. Ich grinse zurück und sage: „Je ne comprends pas“. Darauf sie: „Vouz ne parle pas francais?“ Antwort: „Non, allmand“. Und dann haben wir alle gelacht. Jetzt muss ich nur noch prüfen, ob ich das alles richtig wiedergegeben habe 🙂 Aber das hat Zeit.

Ferien, Ferien

Gleich am Anfang der Etappe muss ich um Entschuldigung bitten, es gibt noch mehr Mont-Blanc-Fotos. Zum Beispiel das hier aus Chamonix aufgenomme. Oder natürlich das Foto oben, das das Etappenziel nebst einschlägigem Hintergrundberg zeigt.

Mont Blanc mit (vermutlich) Glacier de Bossons

Mich fasziniert der. Der Mont Blanc zählt zu den Bergen, die ich selbst – ausschließlich mit Bergführer – durchaus besteigen könnte. Er hat eigentlich nur drei Herausforderungen: 1) es ist ein hoher Berg. Damit ist eigentlich fast alles gesagt. Das bringt eine ganze Reihe von Grundherausforderungen mit sich, ist aber eben nicht für den Mont Blanc spezifisch: Kondition, technische Grundfertigkeit, persönliche Unerschrockenheit, krasse Sonneneinstrahlung, schwierigere Witterungsbedingungen, und die relative Sauerstoffknappheit merke ich ab 4.000 m durchaus auch. 2) Man kreuzt auf dem normalen Weg einen sehr stark steinschlaggefährdeten Hang. Hier gibt es ein Sicherungsseil und man muss sehr schnell sein 3) Er ist der höchste Berg von nennen wir es Kerneuropa (eigentlich ist der Elbrus im Kaukasus der höchste Europäer) und entsprechend überlaufen. Meines Wissens hatten zumindest in einem der letzten Jahre die Behörden den Zugang begrenzen müssen auf all diejenigen mit einer Reservierung auf einer der Hütten. Das bedeutet langfristige Reservierung und hoffen aufs Wetterglück, wenn es denn soweit ist.

Für mich bedeutet das: Punkt 1) hat man immer, irgendein Punkt 2) findet sich bei den meisten Bergen auch, häufig viel schwierigere. Zweifeln lässt mich Punkt 3) Vom bergsteigerischen Erlebnis ist der Mont Blanc vermutlich nicht toller als Gran Paradiso, Monte Rosa, Lagginhorn, Weißmiess. Auf diesen relativ einfachen 4000ern war ich schon. Aber hören die sich so gut an wie Mont Blanc ?

Mit diesen Gedanken hab ich mich beschäftigt, während ich durch den Stadtwald von Chamonix lief. Meine Hochtouren haben mich durchaus begeistert, aber auch ganz schön herausgefordert. Und es werden wohl keine weiteren werden. Ich will ja erst nach Nizza, und geübter werde ich dadurch nicht.

So ging es dahin. Im Stadtwald folgten ein Klettergarten (das ist eine dicht an dicht mit Sicherungshaken und in diesem Fall auch Sicherungsseilen vorgerüstete und leicht erreichbare Felswand, also ideal zum unkomplizierten Üben), ein Hochseilgarten, Campingplatz, Seen. Ein klassisches Feriengebiet also und gut besucht.

Klettergarten im Stadtwald von Chamonix

Nach ungefähr 2.5 Stunden veränderte sich das Bild. Im Ort Les Houches war der Fluss zu queren, und ab da gings bergauf. Aber immer noch an lauter Häusern am Hang vorbei, die nach Ferien- oder Wochenendhaus aussahen. Landwirtschaft habe ich mit zwei Ausnahmen überhaupt nicht gesehen, ein krasser Unterscheid zur Schweiz. Ab und zu hängt ein „A Vendre“-Schild an einem Haus und ich habe einen sofortigen Will-ich-haben-Reflex.

Oberhalb Les Houches

Dieser Reflex hat jedoch zwei Gegenspieler: die Jacht auf dem Mittelmeer, und den Preis. Ich hab in einem Maklerschaufenster geschaut, man ruft hier doppelte Preise im Vergleich zum auch nicht sehr günstigen Berlin auf! Und das, obwohl Chamonix und auch die Gegend gar nicht unbedingt nach Reiche-Leute-Schaulaufen aussieht.

Egal. Der Ansteig hatte dann ein spezielles Problem: die Straße war zu breit. Daher bin ich zu schnell gegangen, was ich nach ungefähr 1.5 Stunden dann auch gemerkt hab. Ich war ziemlich platt, als das Restaurant La Fré mi am Weg die Rettung bot. In Form von viel Apfelschorle und einer kleinen gezuckerten Waffel. Zusammen mit der Aussicht war ich nach 30 Minuten wieder hergestellt. Insgesamt habe ich den Anstieg in den angegebenen 1:45 Stunden absolviert – und das einschließlich der 30-minütigen Restaurantpause. Zu schnell eben.

Im La Fré mi

Es ging dann noch 20 Minuten weiter, bis ich auf der Passhöhe angekommen bin und über den dort vorgefundenen Bahnhof gestaunt habe. Es gibt hier eine Bahn, die teilweise mit Zahnradhilfe auf einen der vielen Aussichtsbalkons fährt. Wie gesagt, es ist eine ausgesprochene Ferienregion hier.

Kleiner Insider: Eau Rouge/Raidillon für den kleinen Mann, oder?

Auf der anderen Seite war dann aber Schluss mit der allgemeinen Ferienregion, hier war der Tour de Mont Blanc Wanderer dann wieder unter sich. Und es herrschte plötzlich Ruhe.

Mont Blanc

Der Tag begann eindrucksvoll mit einem sehr frühen Blick zum Mont Blanc, wo auf einem vorgelagerten Gipfel ein helles Licht zu sehen war. Das war bestimmt für die Bergsteiger, die bei diesem idealen Wetter vermutlich in voller Hüttenbesetzung schon unterwegs waren. Das finde ich immer wieder beeindruckend, auch wenn ich in diesem Leben wohl nicht auf den Mont Blanc steigen werde. Als ich selbst dann circa 8 Uhr wirklich losgewandert bin, müssten die ersten schon auf dem Gipfel sein. Man muss wegen der nachmittäglichen Steinschlaggefahr ja zusehen, früh wieder weit genug unten zu sein.

Und was ich dann morgens auch noch gesehen habe, war die irrsinnige Seilbahn auf die davor gelegene Aiguille du Midi. Die überwindet mit einem mehr als 2 Kilometer langen Seil ohne irgendwelche Stützen über 1400 Höhenmeter. Die Gondel leuchtete in der Morgensonne, reflektierte einen kleinen Lichtpunkt auf die Felsen und schwebte im Himmel wie ein Flugzeug. Fast wäre ich raufgefahren, es ist auch nicht so irrsinnig teuer wie die Bahn auf’s Jungfraujoch. Die Erinnerung an den Rummel auf diesem hat mich abgehalten.

Aber eigentlich wollte ich was über die französische Hüttenkultur schreiben, ich war nach der Übernachtung sofort wieder an frühere Wanderungen erinnert. Und auch wenn das nicht nur in Frankreich so ist. Vorangestellt: es ist nicht blöd und völlig ok. Ich komme damit zurecht. Aber es ist halt anders, denn der Grundgedanke ist immer: der Wirt macht so wenig wie möglich, denn der Gast zahlt so wenig wie möglich. Aus der Perspektive einer Hütte in unwegsamer Höhe ohne Wasserzugang macht das Sinn, wenn alles nach oben getragen werden muss und einfach wenig „Refuge“ oder „Gite“), die ich kennengelernt habe, nicht der Fall. Sondern es ist eine Kulturfrage, die Wanderungen halbwegs preiswert und damit für das ziemlich junge Zielpublikum erschwinglich macht. Also: es gibt im Prinzip alles, aber es ist im Zweifel billig selbst zusammengezimmert. Die Refuge heute war wirklich gut. Sie wurde in eine kleinen Ansammlung von Almhäuschen mit viel Verstand installiert. So sieht das aus:

Gîte les Ecuries de Charamillon

Eines der Häuschen war das Sanitärhäuschen mit Duschen (genug Wasser, warmes Wasser, im Preis inbegriffen, alles nicht selbstverständlich !), Wassertoiletten (auch nicht selbstverständlich), aber halt nur 2 für ungefähr 25 Gäste. Geht natürlich. Andere Häuschen waren als Unterkunft hergerichtet. Die Gäste schlafen in abgetrennten 4er-Kabinen, man hört aber alles von jedem. Hat mich überhaupt nicht gestört, ich habe gut geschlafen, anscheinend hat niemand geschnarcht. Außer vielleicht ich selbst. Der Wirt stellt ein Kissen und eine Wolldecke, der Gast schläft in einem dünnen, selbst mitgebrachten Seidenschlafsack. Damit müssen Kissen und Wolldecke nicht dauernd gereinigt werden. Diese Gite heute bietet sogar Zelte an, ziemlich cool:

Mietzelt in der Gite

Und was auch immer wieder Gäste machen: einfach das eigene Zelt mitbringen, dann sind nur Sanitärnutzung und Verpflegung zu zahlen. Apropos: auch das hat man vereinfacht. Es gibt grundsätzlich nur Halbpension, alle Gäste finden sich zur festgesetzten Zeit ein, man wird an langen Tischen platziert. Da hat man dann die Chance, mit den anderen Gästen zu quatschen. Oder man hat das Kreuz, denen mitteilen zu müssen, dass man nicht quatschen will. Bei mir mal so mal so. Den Tisch decken und servieren machen die Gäste dann selbst: der Wirt stellt alle Geschirr und Besteck an ein Ende des Tisches und die Gäste reichen durch. So geht das dann auch mit der Suppe, dem Hauptgericht, dem Dessert (es gibt immer drei Gänge, das muss man loben). Und abgeräumt wird: richtig geraten, genau so, nur andersrum. Gefrühstückt wird im Buffetformat, das ist nicht so außergewöhnlich. Die Zeiten sind halt enger (heute 6:45 bis 7:30 Uhr), und die Qualität auch aufs wesentliche konzentriert. Um es mal so zu formulieren. Immerhin kam heute der Kaffee aus einer Kanne und nicht aus einem 10l-Wasserkanister (hatten wir auch schon).

Das war’s dann schon und es reicht ja auch. Wifi gibt’s wenn überhaupt für das Cashterminal des Wirts (da geht dann Internet plötzlich, ist aber auch gut so). Es gibt Wäscheleinen fürs Trocknen der Handtücher (bringt man ja auch selbst mit), oder wenn man was wäscht. Alle Handies liegen in Reih und Glied an der Steckdosenleiste, mit der man sie laden kann. Ach ja, und man kann auch ein Picknick kaufen: eine (diesmal) lieblos belegte Stulle, Apfel, Ei, Schokoriegel.

Das erstaunliche an dem ganzen ist erstens, dass sich wirklich alle benehmen und alle grundsätzlich dem anderen trauen. Sonst würde man nicht einfach sein Handy zum Laden rumliegen lassen, seine kompletten Sachen in nicht abschließbaren Häuschen lagern, sowieso kein Zimmer oder wie auch immer man das nennen will, teilen. Aber mit Vertrauen funktioniert es.

Und das zweite: der Aufenthalt hat mich jetzt 67 EUR gekostet inklusive Picknick. Das deckt im Grunde alles ab, was ich an einem kompletten Wandertag brauche. Das ist schon eine Ansage. Und wie gesagt, an der Unerreichbarkeit und den vielen Sherpas, die Lebensmittel nach oben tragen müssen, liegt es nicht. Hier stand das Quad schlicht vor der Tür, mit dem die Leute nach der Arbeit ins Tal gefahren sind.

Es ist eine ganz spezifische Kultur und sie funktioniert richtig gut. Aber man muss es mögen, es ist vielleicht ein bisschen wie Jugendherberge. Und wenn ich es vermeiden kann, vermeide ich es ehrlicherweise.

Zurück zur Etappe. Die war sonnig, schön und entspannt und verlief fast den ganzen Tag am steilen Hang im Wald. Weil das Nadelwald war, viele auch größere Felsen im Weg rumlagen, diese gerne auch bemoost waren, hätte das auch im Harz oder Schwarzwald sein können und ich habe es genossen.

Waldweg oberhalb Chamonix

Dann lebt die Etappe noch vom Blick auf die andere Talseite, wie gesagt mit Mont Blanc und Aiguille du Midi, aber auch mit den etwas versteckten Grandes Jorasses:

Tal mit der Nordwand des Grandes Jorasses

Man sieht die Nordwand im Talschluss. Diese Nordwand gehörte mal zu den „drei ungelösten Problemen der Alpen“. Will heißen, wie die Nordwände von Eiger und Matterhorn war sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht durchklettert. Wenn man sich die ungefähr 1 km hohe senkrechte Wand anschaut, versteht man wieso.

Mehr gibt es heute nicht zu erzählen. Es waren wahnsinnig viele Trailrunner unterwegs, ich wollte dieses Phänomen fast zu einer zweiten völkerkundlichen Überlegung heranziehen. Bis mir aufgefallen ist, dass diese Trailrunner aus aller Herren Länder kommen und nächsten Freitag der „Ultra Trail Mont Blanc“ stattfindet. Ein Rennen über 171 km und 9.900 Höhenmetern. Was unsereiner in 10 Tagen wandert, wird hier am Stück gerannt ! Ich sag da einfach mal nichts dazu.

Und zu Chamonix selbst auch nicht. Die Stadt ist wahnsinnig voll, im Zentrum eine Lautstärke wie in einem sehr vollen Freibad, das war diesmal nichts für mich. Ich hab mich in einer stillen Ecke meines charmanten Hotels La Croix Blanche versteckt.

Frankreich

Wie gestern beschlossen, bin ich heute mit Bus und Bahn zurück nach Martigny – zusammen mit vielen Kindern, die offensichtlich schon wieder Schule haben und sich über die verschiedenen Ortschaften hier verteilen. Anschließend bin ich nicht schon wieder aus Martigny rausgewandert, sondern habe den Montblanc-Express genommen. Hier waren es nicht die Schulkinder, sondern Wanderer und Sightseeingtouristen (auch wenn letztere mehr in ihre Handys geschaut haben – wieso müssen sie selbst wissen). Seinem Namen „Express“ wird er nicht richtig gerecht, er fährt sehr langsam, aber teilweise mit Zahnradunterstützung halt ziemlich steil. Aber ich kam gut in der letzten Ortschaft im Tal an und hatte deshalb einen angenehm kurzen Tag.

Wie vermutet war ich auch überhaupt nicht alleine. Die Etappe gehört zu der recht bekannten Tour de Mont Blanc und wird anscheinend vor allem von sehr vielen jungen Leuten bewandert. Aber es fanden sich auch Familien mit mehr oder weniger begeisterten Kindern, Trailrunner die sich zu allem Überfluss auch noch unterhalten haben, und oben auf dem Pass war dann auch das Mittelalter angemessen vertreten. Und viele nicht ganz so berggängig wirkende Menschen. Man kommt von der anderen Seite per Sessellift hoch und hat ein gut ausgebautes Wegenetz in alle Richtungen.

Am Col de Balme

Der Anstieg selbst war im Grunde Standard. Also erst noch ein paar Meter im Tal über Weisen, dann in engen Serpentinen steil hoch durch den Wald und oben etwas flacher über baumloses wild bewachsenes Gelände.

Wer will sieht schon die Hütte am Pass

Ein Unterschied gab es: der Weg war ungewöhnlich breit. So was wie drei Pfade nebeneinander. War vielleicht auch nötig, es war wie gesagt viel Betrieb.

Vorbildlich an Pausen gedacht

Oben auf dem Pass aber hab ich dann schon gestaunt. Da steht der Mont Blanc in voller Pracht, und der ist schon deutlich größer als alles andere drum rum. Und das sieht man. Und komplett vergletschert, und 3800m unter dem Gipfel liegt Chamonix. Eine beachtliche Höhendifferenze in einem Bild. Konnte ich wegen der diesigen Atmosphäre und dem Gegenlicht aber nicht richtig fotografieren, ich hoffe auf morgen.

Für mich ging’s dann noch eine Stunde weiter, zu meiner Unterkunft, ein sehr nett hergerichtetes Ensemble kleiner Almhütten mit Zimmerlagern (also 3 bis 4 Betten in sehr kleinen Zimmern). Muss man schon mögen, aber es gibt halt nichts anderes.

Ach ja, ich bin jetzt in Frankreich. Oben auf dem Pass ist die Grenze. Nichts, aber auch gar nichts davon ist zu sehen.

Ich will nicht nach Italien

Nach dem Kraftakt gestern habe ich mir heute etwas Zeit gelassen. Die nächste Etappe zu einem See hoch in einem Seitental Richtung Großer Sankt Bernhard war auch nicht so lang. Trotzdem wollte ich sogar mit dem Bus etwas abkürzen. Allerdings musste ich feststellen, dass es in der Schweiz tatsächlich asphaltierte Straßen gibt, in denen KEIN Bus fährt. So bin ich zu Fuß los, und hatte mir vorher noch ein bisschen Martigny angeschaut.

Nun ja. Die Innenstadt wirkt etwas verunglückt, eine lose Ansammlung von unzusammenhängenden Quadern mehr oder weniger gelungener Modernität. Außerdem hat sie dasselbe Problem wie beispielsweise Innsbruck: die Stadt ist selbst absolut flach, aber direkt hinter den letzten Häusern kommen gigantische Berge. Als sei die Stadt in einer Schuhschachtel gebaut. Und alt ist hier auch nicht immer alt, ein kleiner Eindruck:

Martigny Place de Rome

Aber egal, ich mag Städte am morgen. So bin ich einfach der Hauptstraße gefolgt. Dabei läuft man geradewegs auf das Tal zu, in dem die Straße nach Chamonix verläuft. Ergo nach Frankreich. Und passend folgte später ein kleines Viertel mit tatsächlich französischem Flair.

Martigny Rue du Bourg

Da habe ich mich gefragt, wieso ich eigentlich jetzt einen Umweg nehme. Der Plan war ja, über den Großen Sankt Bernhard ins Aostatal und über dessen Seitental Valgrisenche nach Lac de Tignes zu wandern. Das fühlte sich seltsam falsch an. Wieso links abbiegen, wenn es doch einfach gerade aus geht? Außerdem habe ich gerade an französischem Style und Sprache Gefallen gewonnen. Es macht Spaß, ein bisschen zu verstehen – geschrieben und gesprochen – und ab und zu einen zurecht gelegten einfachen Satz zu platzieren. Was soll ich da in Italien?

Das Ergebnis: Planänderung. Ich bin heute an den Zielort Champex-Lac weitergegangen, weil die Wirtin morgens angerufen hatte und wissen wollte, ob ich komme. Habe ich natürlich bejaht. Also wollte ich nicht kneifen. Aber morgen fahre ich mit Bus und Bahn nach Martigny zurück und gehe den neuen Weg Richtung Chamonix.

Heute aber habe ich erstens die imposante Schlucht Gorges du Durnand mit noch imposanterer Wegeführung erlebt. Das waren wirklich fast ausschließlich stumpf freischwebend an den nackten Fels geschraubte Treppen, sonst nicht. Über fast 200 Höhenmetern. Und für nur 9 Franken bist Du dabei. Ich war beileibe nicht alleine hier.

Les Gorges du Durnand

Zweitens habe ich ein ruhiges, entspanntes Tal erlebt. Es gehört offensichtlich Wochenend- und Ferienhäuslern, die eine ruhige Ecke auf dem Sonnenbalkon suchen. Mal ohne …

Le Crêtet

… mal mit Waliser und oft zusätzlich noch Schweizer Flagge (andersrum hab ich es meiner Erinnerung nach nicht gesehen: Schweizer ohne Waliser Flagge geht hier wohl nicht).

Champex d’en Bas

Außerdem gabs noch ein paar Rad- und Motorradfahrer auf dem schmalen Landsträßchen, sonst war Ruhe. Das passte gut zu dem endlich wieder sonnigen Tag. Und auch die Urlauber am namensgebenden See konnten das genießen. Siehe oben.